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Langer Abschied der willigen Koalition

Ranty Islam13. März 2006

Mit ihrer Teilnahme am US-geführten Einsatz im Irak wollten viele osteuropäische Länder ihren Interessen international besser Gehör verschaffen. Viele ihrer Truppen sind mittlerweile wieder abgezogen.

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Ausländische Truppen im Irak: Die "Koalition der Willigen" versinkt in einem Sumpf der GewaltBild: AP

Der slowakische Premierminister Mikulas Dzurinda ist hart im Nehmen. Selbst ein Schienbeinbruch, den sich der Sportliebhaber Anfang März beim Skifahren zuzog, hält ihn nicht davon ab, seine Termine auf der internationalen Bühne wahrzunehmen. Beim Besuch seines britischen Amtskollegen Tony Blair in der slowakischen Hauptstadt Bratislava standen unter anderem die weitere Entwicklung der EU und der Atomkonflikt mit dem Iran auf der Themenliste. Am Montag (13.3.2006) geht es gleich weiter mit einem Blitzbesuch bei US-Präsident Bush in Washington. Nur einen Tag, statt der ursprünglich geplanten zwei wird sich Dzurinda dort aufhalten - der Beinbruch ist Schuld. Und auch hier wird über Wichtiges geredet. Die Situation in Afghanistan und im Irak sind unter den Themen.

Hochwasser Gipfel: Schröder begrüßt Dzurinda
Der slowakische Premierminister Mikulas Dzurinda mit dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (l.)Bild: AP

"Die Slowakische Republik gehört zu den engsten Freunden und Verbündeten Amerikas", verkündete der Sprecher des Weißen Hauses Ende Februar 2005. Als einer der am längsten regierenden Staatschefs Osteuropas hat Dzurinda eine Reihe von Wirtschaftsreformen auf den Weg gebracht. In den Augen Washingtons gilt sein Land als ein Beispiel für die freiheitliche demokratische und wirtschaftliche Entwicklung, wie sie die Bush-Administration nach eigenen Angaben auch in anderen Ländern sehen möchte – so etwa im Irak. Dort ist die Slowakei noch immer mit 104 Soldaten an der mittlerweile stark geschrumpften "Koalition der Willigen" beteiligt. Und dabei soll es auch erst einmal bleiben. Viele andere Regierungen haben ihre Truppen bereits wieder abgezogen, oder denken laut darüber nach, dies zu tun – ohne freilich einen Termin zu nennen.

Osteuropäische Abschiedsvorstellung im Irak?

Aus Osteuropa waren ursprünglich 18 Länder mit eigenen Truppen im Irak präsent. Doch seit 2004 ist ihre Vorstellung dort zu einer Abschiedssinfonie geworden. Mehrere hundert Soldaten aus Ungarn und ein Mini-Kontingent aus Moldawien waren unter den ersten, die bereits vor über einem Jahr wieder den Heimweg antraten. Im Dezember 2005 hatten auch Bulgarien und die Ukraine ihre vergleichsweise großen Verbände abgezogen. Die Ukraine war ursprünglich mit 1650 Soldaten vor Ort.

Die meisten anderen haben ihre Truppenstärke verringert oder sind ohnehin nur mit kleinen Kontingenten von maximal rund 120 Soldaten im Irak. Polen ist dagegen immer noch mit 1500 Soldaten vertreten und stellt damit den größten Verband aus Osteuropa. Doch der polnische Staatspräsident hat in der vergangenen Woche angekündigt, dass sein Land die Truppen 2007 – möglicherweise sogar bis Ende dieses Jahres – abziehen werde. Die jeweils rund 850 Soldaten aus Rumänien und Georgien sollen vorerst im Irak bleiben.

Die Entwaffnung des Irak war ein erklärter Grund für das Engagement der Osteuropäer. Die "Wilna-Gruppe", die zehn osteuropäische Aspiranten auf eine Nato-Mitgliedschaft umfasst, machte dies im Februar 2003 in einem gemeinsamen Statement deutlich.

Außenpolitisches Kalkül in der "Koalition der Willigen"

"Doch es geht nicht wirklich um den Irak – der ist nur eine Metapher", sagt Markus Kaim, Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die beteiligten Länder aus Osteuropa "hoffen den Einfluss ihrer eigenen außenpolitischen Interessen zu potenzieren, indem sie sich auf die Seite der verbliebenen Supermacht stellen". Dies beruhe auf einer unipolaren Weltsicht, die in anderen Teilen Europas, insbesondere in Frankreich und Deutschland nicht geteilt werde, so Kaim.

In diesem Sinne gebe es eine Kontinuität, denn auch während des Kalten Krieges zwischen den Supermächten USA und der Sowjetunion, habe es nicht wirklich eine Wahl gegeben. "Die Länder in Osteuropa waren unweigerlich von einer Macht – damals der Sowjetunion – abhängig." Konkret wollten sich die Länder mit ihrem Irak-Einsatz wohl auch für eine Nato-Mitgliedschaft empfehlen oder als verlässliche Mitglieder beweisen.

Ideologischer Schulterschluss mit den USA

Lech Kaczynski Präsident Polen
Der polnische Präsident Lech Kaczynski: Truppenabzug aus dem Irak schon in diesem Jahr?Bild: AP

Im Fall von Polen komme noch eine enge ideologische Bindung mit der Bush-Regierung hinzu, sagt Sabina Wölkner vom Mitteleuropa-Programm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. "Der Staatspräsident Lech Kaczynski und sein Bruder Jaroslaw Kaczynski, der die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit führt, sind ausgesprochen neokonservativ orientiert." Mit Radoslaw Sikorski habe die Regierung sogar einen echten "NeoCon" amerikanischer Couleur als Verteidigungsminister. Dieser sei mehrere Jahre für den konservativen Think Tank "American Enterprise Institute" in Washington tätig gewesen.

Darüber hinaus hoffe Polen auf ein wesentlich stärkeres Engagement der Amerikaner bei der Modernisierung und dem Training des polnischen Militärs. Aus historischen Gründen sei man in Polen besorgt um die Ambitionen eines imperialen Russland.

Und natürlich spielen handfeste wirtschaftliche Motive auch eine Rolle. "Die polnische Regierung hofft auf eigene Verträge für die Ölförderung im Irak", erläutert Wölkner. Es darf vermutet werden, dass auch andere Koalitionäre ähnliche Hoffnungen hegen.

Laute Stimmen für den Abzug

Trotzdem bröselt die Koalition im Irak auseinander. Die ausländischen Truppen sind bleibender Gewalt ausgesetzt. Angesichts der steigenden Zahl irakischer Opfer - vor allem aber jedes einzelnen toten Soldaten der "Koalition der Willigen" - werden die Stimmen für einen sofortigen Abzug aus dem Irak immer lauter.

Dagegen zu handeln kann im Einzelfall einem politischen Selbstmord gleichkommen. Die Wahlniederlage der spanischen Konservativen im März 2004 ist zum Teil auch darauf zurückzuführen. Die siegreichen Sozialisten setzten den versprochenen Abzug zügig um.

Vor diesem Hintergrund setzt möglicherweise auch in Warschau bald das Umdenken ein – und vielleicht schneller als erwartet. Aus innenpolitischen Gründen könnten dort schon im Herbst Neuwahlen anstehen, sagt Sabina Wölkner.

Die Visitenkarte, mit der sich die Osteuropäer den USA empfehlen wollten, hat nach deren Abzug aus dem Irak an Farbe verloren. Mit einem Rückzug Polens würde sie vollends verblassen.