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Mega-Aufgaben für Megacity

Ute Schaeffer20. Februar 2009

Was passiert, wenn eine Stadt nicht Schritt für Schritt wächst, sondern "über Nacht" zur Megacity anschwillt und täglich mehr Menschen anzieht? Wenn Wasserversorgung, Straßenverkehr und Sicherheit zum Problem werden?

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Lagos, die größte Stadt in Afrika südlich der SaharaBild: picture alliance/dpa

Das Bild ist großartig: eine glänzende Megacity am Meer, ein futuristisches afrikanisches High-Tech-Venedig mit in den Himmel wachsenden Hochhäusern. So sieht es aus, das Hochglanzbild der Megacity Lagos – jedenfalls wenn es nach dem Gouverneur Babatunde Raji Fashola geht. 25 Millionen Menschen sollen hier im Jahr 2025 leben. Doch Stadtteile wie Orile und Oshodi im Norden und Ajegunle im Westen haben wenig gemein mit dieser Vision. Hier wächst der Müll zu Bergen. Werden die Wege bei Regen zu schlammigen Kanälen, haben die Menschen weder Trinkwasser noch Strom. Und an den meisten Ecken von Lagos versteht man auf der Straße sein eigenes Wort nicht. Und dabei ist eine Revolution gelungen: Die ehemalige Hauptstadt und Millionenmetropole im Süden Nigerias hat ein Schnellbussystem eingeführt, mit dem Stau und Chaos umfahren werden können. Ein erster Schritt, um einem der wichtigsten Probleme der Megacity Herr zu werden: dem täglichen Verkehrsinfarkt.

Wachstum als Herausforderung

Nigeria: Verkehr in Lagos
Alltägliches ChaosBild: AP

In Lagos schlägt der Wirtschaftspuls Nigerias - das zieht jeden Tag Tausende an. Sie schlüpfen unter bei Freunden und Verwandten, die schon da sind. Oder sie mieten sich etwas, das sich Zimmer nennt, und doch eher ein Bretterverschlag ist oder eine Ecke in einer Hütte. Auch Ismail Balogun ist in die Lagunenstadt gekommen, weil er Geld verdienen wollte. Ismail kam aus dem Westen. Er ist 35 Jahre alt, stammt aus dem Bundesstaat Oyo an der Grenze zu Benin. Heute steuert er eines der ungezählten Mopedtaxis, ein Okada, durch die verstopften Straßen von Lagos. "Eigentlich war meine Erwartung, gute Geschäfte zu machen. Und das einzige Business, das ich in Lagos so ohne weiteres beginnen konnte, war das Okada-Fahren. Ja, ich kam hierher um Geld zu verdienen, gutes Geld. Das wollte ich, das war der Grund!"

Boomtown mit Shanty Areas

Lagos Takwa Bay Slum
Lagos: Takwa Bay SlumBild: DW

Ismail lebt in Orile. Wie viele der knapp 20 Millionen Lagosianer in diesen "shanty areas", den heruntergekommenen informellen Siedlungen wohnen, weiß keiner. Doch auch aus Sicht der kleinen Leute und Zuwanderer hat sich Lagos geändert in den vergangenen Jahren. Godwin, Okafo und Samuel sind Kollegen von Ismail, auch sie haben dazu eine klare Meinung. "Lagos war am Anfang nicht so", sagt Godwin. "Lagos hat sich wirklich geändert, es ist riesig geworden. Es gibt hier sehr viele sehr Arme und sehr Reiche. Die Frage für mich ist: wie viele Arme und Reiche gibt es eigentlich? Wie groß sind diese Gruppen eigentlich, ist Lagos eine reiche oder eine arme Stadt?"

Haben und Nicht-Haben

Armenvierteln der Megastadt Lagos 2
Bild: DW

Arm und Reich stoßen auch im Stadtbild unübersehbar aufeinander. Während sich in der Takwa Bay und im Hafen die großen Ozeanriesen drängen, Containerschiffe Ladung aufnehmen und Lagos sein Gesicht als Handelzentrum zeigt, ducken sich schon am anderen Ufer Bretterbuden und Schuppen aus Wellblech aneinander. Immer wieder drängt sich so ein Knäuel ungeordneter Hütten in die Nähe von Geschäftsvierteln oder an den Hafen. Die Menschen, die hier leben, können von ihren Verdiensten das Leben in Lagos kaum bezahlen. Das große Business habe dafür gesorgt, dass die Stadt heute für seinesgleichen viel zu teuer sei, meint Okafo. "Lagos war früher wirklich okay, aber inzwischen ist es echt schwer geworden, hier zu leben", klagt er. "Es ist unglaublich teuer geworden, das Essen, die Wohnungen …Lagos ist was für die Reichen, nicht für die Armen. Und nicht wenige von uns überlegen sich, nach Hause zurückzugehen und Lagos einfach zu verlassen."

Wie greifbar ist die Illusion?

Armenvierteln der Megastadt Lagos
Stromversorgung: Ein AbenteuerBild: DW

Für Okafo, Ismail und die anderen war Lagos ein Versprechen: das Versprechen auf einen guten Job, auf ein geregeltes Leben, auf Gewinne, die sich nach Hause zurückgeben lassen - an die Familie auf dem Land. Ihr Alltag hat damit wenig zu tun. Das Leben ist für sie teurer geworden – und keineswegs einfacher. Okafo zeigt auf die Strommasten: "So ist Lagos!", meint er und wendet sich wieder seinem Mopedtaxi zu. Die Strommasten in Lagos stehen schief und krumm – auf ihrem Kopf tragen sie Perücken aus schwarzen Kabeln, die sich dort meterweise knüllen. Durch sie kann kein Strom laufen, oder nur über große Umwege. Deshalb sind die Stadtteile der Mopedfahrer meistens ohne Strom. Und keiner der vier hat zu Hause Trinkwasser. "In den vergangenen Monaten hatten wir keinen Strom in meinem Stadtteil und wir haben auch kein Wasser", beschwert sich Samuel Adiemola. "Wir müssen es kaufen, von Händlern, die durch unser Viertel ziehen. Damit sind wir sehr unzufrieden. Und wir betteln unsere Regierung an, das doch endlich zu verbessern."

Wachstum und Korruption

Lagos Stadtansicht
Bild: DW

Auch Kofo Adeleke lebt in Lagos und kennt das Leben in der Megacity. Illusionen macht sich die Soziologin nicht. Doch sie hat einen klaren politischen Auftrag: Sie soll dafür sorgen, dass aus Lagos das Hochglanzprojekt einer blühenden Wirtschaftsmetropole wird. Sie soll die Stadt entwickeln. Eine riesige Aufgabe, ein Generationenprojekt, das aus der Lösung vieler Alltagsprobleme besteht. Die bringt Kofo Adeleke in wenigen Worten auf den Punkt: "Verkehr ist ein Riesenproblem, die Müllentsorgung, die Energieversorgung." In ihrer Beobachtung ist sich Kofo Adeleke ganz einig mit Ismail. Doch der vertraut der Regierung in Lagos nicht. Zu korrupt, zu wenig praktische Erfolge, meint Ismail, der Okada-Fahrer. Beispiele dafür gebe es täglich, fügt er hinzu: "Ich glaube nicht wirklich an die Regierung, wirklich nicht. Sie schaffen es nicht einmal, die 'area boys' - die Banden, die uns Geld abknöpfen und uns erpressen - aufzuhalten. Und auch die Polizei ist korrupt. Und immer wieder nehmen sie sich uns Okada-Fahrer vor. Die Polizei sucht nach kleinsten Fehlern, dann nimmt sie Dir die Schlüssel ab und Du bekommst sie nur wieder, wenn Du zahlst."

Herkulesaufgabe für Stadtplaner

Lagos Slum 2
Bild: DW

Kein gutes Zeugnis für die Stadtregierung von Lagos. Dort denkt man über große Umsiedlungsprogramme nach, organisiert Seminare und Konferenzen zu ökologischem Stadtmanagement. Und man ist – endlich – ein zentrales Problem angegangen und hat erst kürzlich ein öffentliches Bussystem eingeführt. Für Ismail und Samuel ist das noch zu wenig. Und angesichts der gigantischen Probleme der Megacity ist das wohl in der Tat nur eine winzige Verbesserung. Das größte, existentiell gefährliche Problem für Lagos ist im übrigen noch gar nicht sichtbar, wie die Soziologin Kofo Adeleke zu Recht erklärt: "Lagos gehört zu den 21 Küstenstädten weltweit, welche vom Klimawandel besonders betroffen sein werden. Schon ein Anstieg des Meeresspiegels um rund einen Meter könnte für Lagos verheerende Auswirkungen haben." Und auch der Stadtplaner und Architekt David Aradeon teilt die Meinung der Regierung und sieht nur einen Weg für die Menschen, sich auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten: "Lasst Lagos von der Küstenregion weiter ins Landesinnere ziehen. Denn der Klimawandel ist eine Realität, an der wir nicht vorbei kommen. Auch wenn die schwerwiegenden Folgen vielleicht erst in 20, 30 Jahren sichtbar sein werden, so ist doch Lagos auch schon jetzt von Überschwemmungen und Fluten betroffen."

Großes Lagos, hartes Leben

Lagos Baustelle in der rasant wachsenden Stadt
Megabaustelle LagosBild: DW

Der Untergang ihrer Stadt beschäftigt Samuel und Ismail im Moment wenig. Denn sie sind zu beschäftigt mit den vielen kleinen Untergängen im Alltag. Nur wenige Menschen in der Stadt setzen sich mit Umweltfragen überhaupt auseinander, so wie John Adobe. Er beobachtet genau, welche Lösungen die Politik anbietet: "Die Regierung will Menschen evakuieren an Orte, an Plätze, wo die Umweltbedingungen besser sind. Ich kann das verstehen, hier leben vier oder fünf Personen in Räumen, die eigentlich für einen sind. Es sind schlicht zu viele Menschen hier in Lagos. Und natürlich hat das Auswirkungen auf unsere Gesundheit."