1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Könige der Lüfte - die Rückkehr der Adler

Dagmar Wittek
3. Juni 2017

In Deutschland waren sie bis vor wenigen Jahren fast ausgerottet, doch langsam kommen die extrem scheuen Raubvögel zurück. Beim "Mann mit dem Vogel" kann man sie hautnah erleben.

https://p.dw.com/p/2doUP
Seeadler im Flug
Bild: Kayda

Der Mann am Ruder wedelt mit einem toten Fisch über seinem Kopf und lockt: "Komm hol dir den Aal!" Seine Augen leuchten spitzbübisch, der graue Walross-Schnauzer legt ihm ein Dauerlächeln ins Gesicht. Fred Bollmann ist der Adler-Ranger von Feldberg, ein Naturbursche in Camouflage-Kleidung, der schon als kleiner Junge lieber Schule geschwänzt hat, um Vögel zu beobachten. Ob Sturm oder Eis, Fred geht im Morgengrauen bewaffnet mit einem Fernglas auf Pirsch, füttert mit verendetem Wild oder Fischen Vögel an, sitzt stundenlang mucksmäuschenstill im Gebüsch. Kein anderer in Deutschland kommt so nah an frei lebende Adler heran wie er.

Kleine Wellen schwappen an das leise über den mecklenburgischen See gleitende Elektroboot. "Ich schmeiß mal einen kleinen Fisch", kündigt Fred den mit im Boot sitzenden vier Fotografen an und schon fliegt der Fisch durch die Luft und landet klatschend etwa 10 Meter neben dem Boot auf der Wasseroberfläche. Mit seinem Blick sucht er den Himmel ab nach den hier am Ufer des Breiten Luzin nistenden Seeadlern. "Nee, so richtig Bock haben die noch nicht", urteilt er und sammelt den Fisch wieder ein.

Bedrohte Vögel

Fred Bollmann, Adler-Ranger
Die Adler zu schützen, ist Fred Bollmanns große LeidenschaftBild: Kayda

Seit über 16 Jahren nähert sich Fred Bollmann auf der Mecklenburgischen Seenplatte an Land und auf dem Wasser den mächtigen, extrem scheuen Raubvögeln. Seltene Milane, Schwarzstörche, Eisvögel, Kraniche, Reiher und Kormorane bekommt Fred dabei auch immer wieder zu sehen. Ständig sucht der Blick des Rangers den Himmel ab, um Kindern, Fotografen und Besuchern diese beeindruckend schönen Vögel zu zeigen. Sein Ziel: "Ich hoffe, dass sie unsere Natur so mehr schätzen und vielleicht auch schützen lernen." Er sehe es als "Pflicht und Ehrensache die Kinder des örtlichen Kindergartens regelmäßig mitzunehmen" auf Adler-Pirsch.

Sein früherer Chef, der Leiter des Naturparks Feldberger Seenlandschaft, Dr. Peter Wernicke sagt, so rege Aktivisten wie Bollmann bräuchte der Naturschutz: "Für Fred sind die Adler und ihr Überleben das allerwichtigste." Dass er sie nun für seine Beobachtungstouren anfüttert, finden weder Wernicke noch die Umweltschutzorganisation WWF bedenklich. "Im Gegenteil", sagt Thomas Neumann vom WWF Deutschland, "dadurch lernen wir täglich mehr über diese grandiosen Tiere und können sie so auch besser schützen.” Dass es Fred gelinge, zwei der extrem scheuen Adler zum Fische jagen anzulocken sei "einzigartig", so die beiden Naturschützer unisono.

Adler sind vom Aussterben bedroht, auch wenn sich die Bestände von Seeadlern erholen - dank striktem Abschussverbot und vor allem dank des Verbots des Pestizids DDT in den 70er Jahren, das dazu geführt hatte, dass die Eierschalen hauchdünn wurden und dann beim Bebrüten meistens zerbrachen und somit kein Nachwuchs kam. Inzwischen gibt es wieder rund 700 Brutpaare in Deutschland. Fisch- und Schreiadler aber sind immer noch enorm selten, da sie bei Futter- und Nistplatzwahl wählerischer und somit auch eingeschränkter sind.

Laubwald
Ein unberührtes Ökosystem ist unabdingbar, damit seltene Adlerarten sich in der Gegend niederlassen. Die Feldberger Seenlandschaft bietet solche BedingungenBild: Kayda

"Der kleinste, der Schreiadler", klagt Fred, "bleibt derzeit auf der Strecke", weil es immer weniger naturbelassene Feuchtwiesen mit Ratten und Mäusen gebe. Für die Landwirte sei es lukrativer Raps und Mais anzubauen: "Da müsste die Regierung was tun, sowas muss politisch entschieden werden." Drohnen und Windräder sollten sie dann in und um Adlergebiete auch gleich verbieten, fügt er noch hinzu, das sind die jüngsten Bedrohungen, die töten und beim Brüten stören. Stundenlang kann sich Fred echauffieren, wenn es um seine Leidenschaft, die Vögel, geht.

Adler hautnah

"Da kommt einer angeeiert!", ruft Fred aufgeregt. Und tatsächlich: ein dunkler, fast rechteckiger Schatten am Himmel zieht majestätisch Kreise. Die Flügelspannweite von Seeadlern beträgt bis zu 2,50 Meter. Die Weibchen wiegen gut 6 Kilogramm. Je älter der Vogel, desto heller sein Gefieder. Geschlechtsreif werden sie erst nach dem 5. Lebensjahr, können dafür aber weit über 20 Jahre alt werden. Eigentlich sind Seeadler Futter-Opportunisten und fressen so ziemlich alles. Mit Vorliebe die Eingeweide toter Tiere. Fische aber jagen sie.

Bollmann wirft einen Fisch. Die Fotografen im Boot richten ihre Kameras aus, aber der Adler dreht ab und setzt sich in etwa 300 Meter Entfernung auf einen Baum. "Der will Aal", sagt Bollmann. Das sei seine Leibspeise und "der sieht genau, dass es sich nur um kleine Fische handelt." Das sprichwörtliche Adlerauge vergrößert im Vergleich zum menschlichen um das 7-fache und ist 5-mal lichtempfindlicher.

Jetzt schwenkt Bollmann einen Aal und pfeift laut – sein Konditionierungsruf für die Adler. Der mächtige grau-braune Vogel  in der Baumkrone reagiert prompt. Sein Schrei ist erstaunlich piepsig. "Adler sind keine Gesangskünstler", meint Bollmann noch. Dann schwebt der König der Lüfte mit leuchtend gelbem Schnabel und weißem Schwanz heran. Alle im Boot halten den Atem an, die Dauerauslöser klicken.

Seeadler im Flug
Es ist sehr selten, die scheuen Adler so nah zu erlebenBild: Kayda

Der gewaltig wirkende, schwere Vogel bremst wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche im Zeitlupentempo durch Ausbreiten seines Schwanzes ab, streckt die gelben Krallen weit vor, packt zu und im Nu zieht er wieder – mit dem Fisch – in schwindelerregende Höhen. Das alles nur etwa 8 Meter neben dem Boot. Zufriedenes Durchatmen bei den für dieses Erlebnis aus 500 Kilometer Entfernung angereisten Hobby-Fotografen: "Ein wahnsinniges, atemberaubendes Gefühl, wie der auf Zuruf herangeflogen kam, sich immer weiter näherte, mir stieg der Puls ganz schön hoch, ich hatte Schwierigkeiten scharf zu stellen," sagt einer der Fotografen.

Auch Adler-Ranger Fred ist froh, dass seine Aal-versessenen Könige der Lüfte gnädig waren und wieder einmal mitgespielt haben. Denn es klappe nicht immer, sagt er. Das seien ja schließlich keine dressierten Zootiere, sondern immer noch wilde Raubvögel, von denen sich zwei nach jahrelangem Training hin und wieder für eine Delikatesse zu Fred herablassen. In saloppem Ton verspricht Fred Bollmann, dass sein "Catering-Service" später wieder zu Diensten sein werde: "Um fünf bin ich wieder da, dann gibt es Abendbrot."