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Kurt Tucholsky

Hannelore Hippe/Heike Mund
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Kurt Tucholsky (Porträt: picture alliance / akg-images, Montage: Philip Kleine / Peter Steinmetz)
Bild: Fotomontage: DW

"An der belgischen Grenze stimmte irgendetwas mit den Uhren nicht; einigen wir uns auf: mitteleuropäische Zeit in Idealkonkurrenz mit der Sommerzeit. Kurz und gut: die Uhren wiesen auf einmal eine Differenz von sechzig Minuten auf. Das ließ einen der Reisegefährten nicht ruhn. Er wandte sich an den belgischen Zugbeamten. «Wir haben eine Stunde gewonnen, nicht wahr?» sagte er. «Nein», sagte der Mann. «Sie haben eine Stunde verloren.»"

Der Autor

Der Schriftsteller Kurt Tucholsky (Foto: picture alliance / akg-images)
Kurt TucholskyBild: picture-alliance / akg-images

Geboren am 9. Januar 1890 in Berlin
Gestorben am 21. 12.1935 in Hindas (Schweden)

Kurt Tucholsky wurde als ältester Sohn eines jüdischen Unternehmers in Berlin geboren. Er studierte zunächst Jura, veröffentlichte jedoch schon während seiner Studentenzeit erste Essays und Beiträge. Bald gehörte Tucholsky zu den am meisten gefragten und best bezahlten Journalisten der Weimarer Republik. Er veröffentlichte in mehr als 100 Publikationen über 3000 Artikel, sieben Sammelbände mit Essays, Texten und Gedichten und mehrere Romane. Sein bekanntester Roman war "Schloss Gripsholm". Äußerungen Tucholskys wie "Soldaten sind Mörder" polarisieren bis heute. Wie sein Vorbild Heinrich Heine lebte Tucholsky die meiste Zeit im Ausland. In den zwanziger Jahren hauptsächlich in Frankreich, ab 1930 in Schweden. Bereits Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten warnte er vor dieser politischen Entwicklung in Deutschland. 1935 starb Tucholsky im schwedischen Exil - vermutlich an einer Überdosis Schlaftabletten.

Die Texte

"Das Elend der Speisekarte" könnte heute geschrieben sein. Anscheinend hat sich seit Tucholskys spöttischen Beobachtungen über das Elend nicht nur der Speisekarte, sondern vielmehr der Speisen, die man daraus bestellen kann, nicht so viel in Deutschland geändert.

Da moniert er zum Beispiel, es gäbe zu viel Fleisch und die Portionen seien einfach zu mächtig. Das Gemüse sei selten frisch und "dass das Essen in den meisten Restaurants so schmeckt, als sei es abgestanden, liegt daran", so stellt er lakonisch fest, "dass es abgestanden ist." Und solange die Deutschen gewöhnt seien, zwischen elf Uhr vormittags und vier Uhr nachmittags warmes Essen zu erwarten, werde sich daran auch nichts ändern.


Paris, Eiffelturm mit Trocadero, Fotopostkarte um 1910 (Foto: picture alliance / akg-images)
"Das, was die einzige Atmosphäre dieser Stadt ausmacht, ist ihre Menschlichkeit."Bild: picture-alliance / akg-images


Überhaupt sei in Frankreich und besonders in Paris alles besser. "Das menschliche Paris" mit seinen großzügigen Marktfrauen und seinen wohl erzogenen Bettlern hat es ihm angetan. Da drückt er auch gern ein Auge bei der kontrollwütigen Concierge zu. Und wieder schmunzelt man: Tucholsky ist wohl doch deutscher als er selbst glaubte. Denn wie er sehen wir bis heute als Besucher im Ausland vieles gern durch die rosarote Brille.

Amüsiertes Wiedererkennen auch bei der Reisebeschreibung "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins". Dort resümiert er: "So leid es mir tut: Sankt Pauli ist sehr brav und fast gut bürgerlich geworden." Das hört auch der Hamburgtourist von heute bei jeder Stadtrundfahrt, die ihn durch das einst berüchtigte Viertel führt – dass es verglichen mit noch vor wenigen Jahren dort mittlerweile sehr brav zugehe. Liegt denn das sündige Sankt Pauli schon mehr als hundert Jahre zurück? Oder gab es das am Ende nie, war es immer schon ein Mythos?

Zeitlos im wahrsten Sinn des Wortes ist Tucholskys philosophische Beobachtung einer Zugfahrt von Paris nach Deutschland mit der Umstellung auf Sommerzeit an der belgischen Grenze. Leicht, beschwingt und dabei hintergründig klug gelingt es Tucholsky, mit einem großen Thema umzugehen: Zeit und Leben.

Der Sprecher

Der Schauspieler Bernd Reheuser
Bernd Reheuser

Seine Stimme kennen viele in Deutschland aus dem Radio. Jahrelang war Bernd Reheuser Chefsprecher beim Westdeutschen Rundfunk und "die Stimme" für alle Fälle. Vom seriös-sachlichen Nachrichtentext, über literarische Textpassagen bis zum anspruchsvollen Comedypart - für alles hatte Reheuser eine persönliche Note: charmant, differenziert, leicht ironisch und mit einem Hauch "Laissez-faire" in der Tonlage. Für die Texte von Kurt Tucholsky über die Kultur-Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich genau die richtige Mischung.

1999 entschied er sich für eine freiberufliche Profession als Schauspieler und Sprecher. Er spielt auf der Bühne ebenso wie vor der Fernsehkamera. Daneben hat er unzähliger Dokumentar- und Tierfilme, sowie Kinderhörbücher und Radio-Hörspiele eingesprochen.

Die Klassiker - Kurt Tucholsky: "Das Stundenkonto" und andere Texte
Sprecher: Bernd Reheuser
Produktion: interface studios, Köln
Regie: Heike Mund
Online-Realisation: Claudia Unseld
Redaktion: Gabriela Schaaf