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DTP-Verbot

14. Dezember 2009

Das türkische Verfassungsgericht hat einstimmig die pro-kurdische Partei der demokratischen Gesellschaft (DTP) verboten. Diese Entscheidung ist ein Schritt zurück für die Türkei auf dem Weg in die EU, meint Baha Güngör.

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Themenbild Kommentar
Bild: DW

Die pro-kurdische DTP ist die 25. Partei, die das türkische Verfassungsgericht seit seiner Gründung verboten hat. Das ist eine unrühmliche runde Zahl, die eher Anlass zur Sorge als zur Freude gibt. Mit ihrem einstimmigen Urteil haben die Verfassungsrichter gewiss den Gesetzen entsprochen. Aber sie bieten offenkundig noch immer nicht den Stoff, um aus der Türkei ein für den EU-Beitritt reifes Land zu schneidern.

Rückhalt in der Bevölkerung

Baha Güngör ist der Leiter der türkischen Redaktion
Baha Güngör ist der Leiter der türkischen Redaktion

Die Partei DTP, die nun für illegal erklärt wurde, wird überwiegend von Kurden gewählt. Sie wollte im türkischen Parlament den Dialog zur Lösung des Kurden-Problems ermöglichen. In den historischen Siedlungsgebieten der Kurden im Osten und Südosten der Türkei ist die Partei auf kommunaler Ebene die stärkste politische Kraft und stellt viele Bürgermeister wie etwa in der Kurden-Hochburg Diyarbakir.

Mit dem Verbot der DTP wurde einmal mehr Öl ins Feuer gegossen. Die jüngsten positiven Entwicklungen in der Kurden-Politik Ankaras und die von der konservativ-islamischen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan viel gepriesene "Öffnung gegenüber den Kurden" wurden für null und nichtig erklärt. Verboten wurde die Partei, weil sie angeblich eine "politische Vertretung der PKK" sei, so die offizielle Begründung. Sie habe den Terrorismus und das Blutvergießen aktiv unterstützt und zur Gewalt aufgerufen.

Der Vorwurf: Unterstützung der PKK

Maskierte Demonstranten halten Bilder von Öcalan hoch (Foto: AP)
PKK-Führer Öcalan sitzt seit Jahren im GefängnisBild: AP

Die 1978 gegründete PKK, die sowohl in Europa als auch in den USA als Terrororganisation eingestuft ist, kämpft seit 1984 für ein unabhängiges Kurdistan. Inzwischen hat die PKK ihre Forderungen aber zurückgeschraubt: Sie will nun autonome Rechte der kurdischen Bevölkerung erreichen, die inzwischen nahezu 20 Prozent der Gesamtbevölkerung der Türkei ausmacht. Es ist weiterhin fatal, zu glauben, die PKK könne nur militärisch besiegt werden. Der Zulauf vor allem junger Kurden zur PKK kann nur gebremst werden, wenn es neue Hoffnungen für ein friedliches Nebeneinander mit den Türken gibt.

Die DTP ist die fünfte pro-kurdische Partei in der Türkei, die seit 1993 vom Verfassungsgericht verboten worden ist. Der fast identische Vorwurf an alle Parteien: Sie unterstützten die PKK aktiv und gefährdeten die Grundordnung in der türkischen Republik. Doch wie nach jedem Verbotsurteil gibt es auch diesmal eine Nachfolgepartei. Die "Partei für Frieden und Demokratie" (BDP) hat sich weitestgehend so organisiert, dass sie bei den nächsten Parlamentswahlen gewählt werden kann. Die 19 im Plenum verbliebenen DTP-Abgeordnete, die jetzt einen aufgezwungenen Unabhängigen-Status haben, wollen nun ihre Mandate niederlegen. So wollen sie eine vorzeitige Neuwahl des Parlaments oder zumindest Nachwahlen erzwingen.

EU-Beitritt immer noch in weiter Ferne

Symbolbild für EU-Fortschrittsbericht Flaggen von der Türkei und Kroatien zusammen mit der EU-Flagge (Montage: DW/FLorian Meyer)
Die Türkei und die EU: eine schwierige BeziehungBild: DW/DPA

Bei allem Lob aus Europa für Erdogans positive Kurden-Politik in den vergangenen Monaten muss sich die Partei des Ministerpräsidenten AKP auch den Vorwurf der Doppelzüngigkeit gefallen lassen: Als das Verfassungsgericht über das Verbot der AKP beriet, vertrat die Partei die Auffassung, Verfassungsrichter könnten nicht über den Willen des Volkes befinden. Diesmal jedoch schwieg die AKP beharrlich, obwohl auch die DTP eine gewählte legale politische Kraft war.

Die Türkei hat ihre weitere Heranführung an die EU einmal mehr selbst erschwert. Die Justiz entscheidet auf der Basis von Gesetzen, auch die Verfassungsrichter. Diese Gesetze scheinen aber immer noch nicht die Freiräume zu bieten, die ein moderner europäischer Staat ethnischen, kulturellen, religiösen ebenso wie politischen Minderheiten zugestehen muss. Die angeblichen Beweise gegen die DTP sind jedenfalls nicht überzeugend. Zu befürchten bleibt, dass die Zahl von rund 40.000 Toten in der bewaffneten Auseinandersetzung mit der PKK weiter steigen wird.

Autor: Baha Güngör
Redaktion: Julia Kuckelkorn