1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kunsträume gegen den braunen Sumpf

3. Oktober 2009

In Leipzig belebt eine quirlige Off-Szene das ehemalige Arbeiterviertel Lindenau. Doch seit Herbst 2008 geht es um mehr als nur Kunst: die NPD hat ein Büro in ihrer Nachbarschaft bezogen.

https://p.dw.com/p/Jvf6
Eine Hausfassade aus der Vorgründerzeit (Foto: Maximilian Grosser)
Eines der größeren Wächterhäuser in der DemmeringstraßeBild: picture-alliance/ ZB

Ein Abend im Leipziger Westen. Auf einer Ausfallstraße rauscht der Abendverkehr vorbei. In einem maroden Eckhaus probt die Perfomerin Veronika Merklein mit einer Kollegin, hinter großen Schaufenstern erkunden sie in einem alten Ladengeschäft ihr Kunst gewordenes Beziehungsdrama. Aus zwei Ghettoblastern mit Hasenohren entfaltet sich ein floskelhaftes Streitgespräch zweier Stimmen von Comicfiguren.

Auch eine Badewanne steht im Raum, die während der Performance über einen Schlauch mit seltsamer Flüssigkeit gefüllt wird. Veronika Merklein will allerdings nicht verraten, was hier zu erwarten ist, in der "A und V Projekt- und Hörgalerie". Anna Schimkat ist Mitbegründerin dieses Kunstlabors, Merkleins Arbeit passt perfekt in das Konzept. Die Hörgalerie ist Teil einer sich ausbreitenden alternativen Kunstszene im ehemaligen Arbeiterviertel Leipzig Lindenau.

Leipzig braucht uns

Eine leerstehende Baracke zwischen Häusern (Foto: Maximilian Grosser)
Leerstand zur Skulptur gemacht: Die Installation "leuchtrekl 3" von Sabine Fischer in LeipzigBild: DW

Die Konzeptkünstlerin Sabine Fischer ist Teil einer Bewegung im Stadtviertel, die leer stehende und verfallene Häuser in den letzten Jahren besetzt hat. So sind mit den Künstlern etliche Kunsträume und Vereine entstanden, die dem früher unbeliebten und abgeschriebenen Quartier ein neues Image, einigen perspektivlosen Lindenauern kulturelle Vielfalt geben. Doch die sind nun im Fokus der NPD, seitdem die Partei ein Büro zwischen den neuen Galerien und Cafés bezogen hat. Ungewollt sehen sich die Kulturschaffenden nun bedrängt, ihr Terrain zu sichern. Daraus ist das "Netzwerk unabhängiger Kunsträume Leipzig-Lindenau" entstanden.

"Ich sehe was, was du nicht siehst"

Ein Gebäude verschanzt hinter Wellblech (Foto: Maximilian Grosser)
Das NPD-Büro in Leipzig LindenauBild: DW

Eine erste Aktion des Bündnisses war eine ganz eigene Stadtrundfahrt. "Wir haben uns einen Doppelstockbus angemietet, so einen klassischen roten, wie man sie aus London kennt", berichtet Anna Schimkat. Der Bus hatte vor allem einen Zweck: endlich konnten Fahrgäste über den undurchsichtigen Zaun schauen, der das Parteibüro abschottet. Bei der dritten Tour konnten die Fahrgäste den Neonazis beim Grillen zuschauen. Da die Aktion nicht angemeldet war, gab es schnell Polizeischutz. Denn einige der Neonazis verfolgten den Bus mit wehender Deutschlandfahne.

Bisher geben sich die NPD-Funktionäre und ihre Anhänger als Biedermänner. Auch wenn bisher keine direkte Bedrohung aus dem Büro heraus ausgeht, fühlen sich einige Anwohner verunsichert. Und Kulturschaffende sehen in der Ansiedlung einen Angriff auf ihre eigene Arbeit. So auch der Stadtplaner Fritjof Mothes, der mit der "Wächterhausinitiative" viele der Kunsträume ermöglicht hat.

Lindenau wächst wieder

'Mensch, da guckste Biss ins Paradies' steht auf grünen Vorhängen geschrieben (Foto: Maximilian Grosser)
Kunst im Schaufenster: der Leipziger Kunstraum "Kuhturm"Bild: DW

Mothes ist auch einer der Gründer des Wächterhausvereins "Haushalten e.V.". Nicht weit weg von den Kunsträumen hat der Verein ein altes Haus der Vorgründerzeit bezogen, das kurz vor dem Abriss stand. Hier in den Büros werden Kontakte und Verträge geschlossen. Das Ziel: günstig Raum für Ateliers und Kunstlabore oder alternative Wohnideen zu schaffen. Mothes ist einer der Wegbereiter, die dem Viertel einen neune Aufschwung geben. Immer mehr junge Familien ziehen die neuen Freiräume an. Für den Stadtplaner der beste Weg, der NPD das Terrain zu nehmen.

Die Kulturbotschafter Leipzig-Lindenaus sind trotz eines starken Netzwerkes in keiner einfachen Lage: einerseits fühlen sie sich für die Atmosphäre des Viertels verantwortlich. Andererseits wollen sie sich auch auf ihre Arbeit konzentrieren und der NPD nur wenig Aufmerksamkeit schenken. Trotzdem ist sich das Netzwerk einig: es wird wieder so eine ähnlich humorige Aktion geben, wie es die alternative Stadtrundfahrt gewesen ist – als eine Antwort auf diese schwierige Koexistenz.

Autor: Maximilian Grosser
Redaktion: Conny Paul