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Aktionskünstler trollen Vermieter

29. November 2017

Im Rahmen des Projekts "Haunted Landlord" ruft ein Bot des Künstlerkollektivs "Peng!" aus Berlin wiederholt Vermieter an, die ihre Wohnungen zwangsgeräumt haben und konfrontiert sie mit Berichten vergangener Mieter.

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Symbolbild Haunted Landlord: Eine Hand mit einem Telefonhörer reckt sich aus einem Grab heraus (Foto: L. Bösch )
Bild: L. Bösch

Unangekündigte Besuche der Vermieter, Drohungen, Abschalten von Wasser und Heizung, das Entfernen von Duschen und Toiletten, herausgedrehte Glühbirnen im Treppenhaus, Installation von Überwachungskameras: Das sind nur einige der fiesen Methoden, die Vermieter und Wohnungseigentümer anwenden, wenn sie ihrer Vermieter loswerden wollen. Das Künstlerkollektiv "Peng!" hat in den vergangenen Wochen 38 Statements von Opfern dieser Maßnahmen gesammelt und wendet sie nun gegen Vermieter an. 

"In diesem Herbst kehren die Entmieteten zurück, um diejenigen zu plagen, die sie auf die Straße gesetzt haben", heißt es im furchterregenden Video-Trailer der Aktion. Der im Horror-Stil formulierte Titel lautet: "Haunted Landlord: Die Rückkehr der Entmieteten".

Am Montag (27.11.) wurde das Projekt "Haunted Landlord" von "Peng!" gestartet, einer Gruppe von Künstlern, Aktivisten, Handwerkern und Wissenschaftlern aus Berlin. Es möchte Rache nehmen an skrupellosen Vermietern, die Menschen aus ihren Wohnungen in Berlin, Leipzig und Frankfurt vertrieben und auf die Straße gesetzt haben – mit Hilfe verschiedenster Druckmittel und Schikanen.

Rauswurf aus Profitgier

Viele von ihnen wurden aus ihren Wohnungen hinausgeworfen, weil die Eigentümer noch mehr Umsatz erzielen wollten. Und das alles, während sich die Wohnungskrise in Deutschland verschlimmert. In einem Fall hat der Vermieter die Räumungsmitteilung sogar am Heiligabend in den Briefkasten des Mieters geworfen. Und Mieter einer Immobilie in Leipzig berichteten von Telefonanrufen zu unverschämten Uhrzeiten.

Mietverhältnisse zu beenden, um das Eigentum danach wieder zu einem höheren Preis zu verkaufen oder zu vermieten, wird gerade zu einem lukrativen Geschäftsmodell, ganz besonders in der deutschen Hauptstadt, wo sich ganze Viertel – heute heiß begehrt: Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Friedrichshain – nach Jahren der Gentrifizierung verwandelt haben.

Mehr lesen: Kolumne Berlin 24/7: Berlin wächst – kein Grund zum Feiern!

In den verbleibenden Tagen dieser Woche sollen Vermieter und Wohnungseigentümer mit automatisierten Anrufen auf ihren privaten wie beruflichen Telefonnummern belästigt werden – etwa 20 Mal am Tag. Jeder Anruf, aufgenommen von Schauspielern, berichtet von einer Erfahrung, die ein aus seiner Wohnung geworfener Mieter erlebt hat:

"Ich hoffe, du hast ein schlechtes Gewissen, dass du deine Eltern als Grund vorgeschoben hast, um die Wohnung als Eigenbedarf zurückzufordern", sagt zum Beispiel eine Stimme am anderen Ende der Leitung. "Du hast uns angelogen und unter Druck gesetzt, um uns aus der Wohnung zu vertreiben. Wir haben sie ein paar Monate später wieder online zur Vermietung entdeckt. Der Preis hatte sich mehr als verdoppelt!" Ein anderer früherer Mieter erinnert sich: "Du hast kein Heizöl gekauft und bist in den Urlaub gefahren. Du hast deine Mieter sieben Wochen lang ohne funktionierende Heizung zurückgelassen – mitten im Winter!"

85 Prozent der Deutschen wohnen zur Miete

"Viele dieser Geschichten geschehen, ohne dass jemand Notiz davon nimmt. Die Verantwortlichen schauen weg und werden reich, während jene, die rausgeworfen wurden, mit ihrer Wut und Wohnungsnot allein gelassen werden", so "Peng!"-Sprecherin Nora Moll gegenüber der DW. Auf der Webseite des Projekts lädt das Kollektiv dazu ein, sich mit ähnlichen Geschichten an die Öffentlichkeit zu trauen und sie zu teilen.

Nach Aussage der Künstler möchte das Projekt außerdem einen Beitrag leisten zur kommunalpolitischen Debatte über den deutschen Wohnungsmarkt. Denn in Deutschland machen Mieter atemberaubende 85 Prozent der Bevölkerung aus – mehr als in jedem anderen Land der Europäischen Union.

Das Berliner Nikolaiviertel mit Fernsehturm (Foto: picture-alliance/R. Schlesinger)
Effekt der Gentrifizierung: Berlin trifft es besonders hart, wenn Investoren Hausbewohner vertreiben, um die Mieten zu erhöhenBild: picture-alliance/R. Schlesinger

Deutschland erlebt zur Zeit eine sich verschlimmernde Wohnungskrise. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) hat am 14.11.2017 eine Prognose veröffentlicht, nach der im Jahr 2018 bis zu 1,2 Millionen Menschen in Schutzunterkünften wohnen könnten.

"Der Hauptgrund für die Wohnungsknappheit und Obdachlosigkeit ist eine falsche Wohnungspolitik in Deutschland, die seit Jahrzehnten in die falsche Richtung geht", sagt BAGW-Direktor Thomas Specht. "Außerdem wird zu wenig im Kampf gegen die Armut unternommen."

Ausweg Mietpreisbremse

2015 unternahm die deutsche Regierung den Versuch, die Geschwindigkeit der in die Höhe schießenden Mietpreise zu drosseln – mit der sogenannten Mietpreisbremse. Die Maßnahme sollte verhindern, dass Eigentümer die Miete für neue Bewohner beliebig erhöhen können. Sie darf jetzt nur noch höchstens 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Die Wirksamkeit der Mietpreisbremse wird seit Langem infrage gestellt. Auch Bundestagsmitglied Johannes Fechner von der SPD fordert, dass sie nachgebessert wird.

Eine Deutschland-Fahne hängt während der Fußball-WM 2014 aus einem Fenster neben einem Balkon in Berlin-Friedrichshain (Foto: dpa)
85 Prozent: In Deutschland wohnen mehr Menschen zur Miete als in jedem anderen EU-LandBild: picture alliance/dpa/A. Warnecke

In einer neuen großen Koalition aus CDU und Sozialdemokraten könnte die Wohnungspolitik zum Diskussionspunkt werden. Für Fechner sind neue Wohnungen und eine Ausweitung der Mietpreisbremse in der nächsten Legislaturperiode die Schlüssel, um mit der Wohnungsnot und den steigenden Mieten fertig zu werden. "Die Regeln der Mietpreisbremse müssen außerdem verschärft werden und Grenzen einbeziehen bezüglich des Umfangs, in dem Eigentümer nach Renovierungsarbeiten die Miete erhöhen können", so Fechner gegenüber der DW.

Berlin leidet am meisten unter den Mieterhöhungen

Nach Angaben des unabhängigen Forschungsinstituts "F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH" haben sich die Mieten in Deutschland in den letzten zehn Jahren um fast 17 Prozent erhöht. Berlin war davon besonders stark betroffen. Der Mietpreisindex der deutschen Hauptstadt von 2017 zeigt, dass sich die durchschnittliche Netto-Kaltmiete – der Mietpreis ohne Nebenkosten wie Wärme und Heizung – um 4,6 Prozent jährlich erhöht. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis liegt in Berlin zur Zeit bei 6,39 Euro.

Bedingt durch einen Mangel an Immobilien und steigende Mieten aufgrund der Gentrifizierung, seien Unsicherheiten und Risiken rund um die Wohnungssuche inzwischen weit verbreitet in Deutschland, sagt "Peng!"-Aktivistin Nora Moll: "So lange das Wohnungsproblem Bestandteil des freien Marktes bleibt, werden Mieterhöhung und Vertreibung die Normalität bleiben – ein gebräuchliches Mittel, um Profite zu maximieren. Wir brauchen eine Wohnungs- und Stadtpolitik, die Repressionen sanktioniert, die sie unprofitabel macht, anstatt sie zu belohnen."