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Zwischen Aufklärung und Stadtverschönerung

17. Mai 2011

Öffentlich zur Schau gestellte Kunstwerke gab es schon im 19. Jahrhundert. Vor allem Politiker ließen sich Denkmäler bauen. Erst seit den 1970er Jahren erscheinen in der Öffentlichkeit auch Kunstwerke ohne Auftrag.

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Figur von Stephan Balkenhol in Hamburg (Foto: Kulturbehörde Hamburg)
Blick aufs Wasser: Figur von Stephan BalkenholBild: Kulturbehörde Hamburg

Lange Zeit war Kunst, die öffentlich zur Schau gestellt wurde, nur dazu da, Herrscher zu verehren und ihrer Ideologie zu dienen. Die Reiterstandbilder, die zum großen Teil im 19. Jahrhundert entstanden, sind dafür das bekannteste Beispiel. Viele Staatsführer, unter ihnen Kaiser Wilhelm und Friedrich der Große, wurden so in heroischer Pose auf repräsentativen Plätzen verewigt.

Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten kam Reichspropagandaminister Joseph Goebbels auf die Idee, Künstler in die Gestaltung öffentlicher Gebäude mit einzubeziehen. Er verankerte im Baugesetz, dass ein kleiner Prozentsatz der Bausumme für Kunst aufgewendet werden sollte: Ein weiteres Mittel staatlicher Propaganda und zugleich Unterstützungsmaßnahme für linientreue Künstler.

NS-Figuren vor dem Berliner Olympiastadion (Foto: dpa)
Heroisierende Figuren aus der NS-Zeit vorm Berliner OlympiastadionBild: picture-alliance/dpa

Kunst und Kultur für alle

Die Vorschrift der "Kunst am Bau" blieb über den Zweiten Weltkrieg hinaus erhalten. Jetzt waren die beauftragten Künstler keine linientreuern Erfüllungsgehilfen staatlicher Propaganda mehr, aber originell oder kritisch waren die künstlerischen Entwürfe auch nicht. 1953 fand der erste Versuch statt, diesen bescheidenen Rahmen öffentlicher Kunstdarstellung zu überschreiten. Die Hamburger Aktion "Plastik im Freien" wollte Kunst einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Dem lag der Gedanke zugrunde, dass Kunst, die in Museen zu sehen ist, stets nur einem eingeweihten Publikum vorbehalten bleibt.

Hilmar Hoffmann, langjähriger Kulturdezernent in Frankfurt am Main und später Direktor des Goethe-Institutes, bündelte diesen aufklärerischen Gedanken in eine klare Formel: Die Parole "Kunst für alle" verhalf der Kunst im öffentlichen Raum zum großen Aufschwung durch eine verstärkte Förderung in Städten und Gemeinden. Der Anspruch dahinter war groß. Die Bürger sollten über die Anregung durch die Kunst mehr Autonomie entwickeln - eine Bildung mit allen Sinnen für mehr Demokratie wurde angestrebt.

Die drei Nanas der französischen Künstlerin Niki de Saint Phalle in Hannover (Foto: dpa)
Drei Nanas in HannoverBild: picture-alliance/dpa

Die Kunst wird unabhängig

1974 beauftragte die Stadt Hannover die französisch-schweizerische Künstlerin Niki de Saint Phalle, Skulpturen für eine öffentliche Ausstellung auf städtischem Gelände zu entwerfen. Die auffälligen, bunten und voluminösen Frauendarstellungen sorgten für heftige Diskussionen und reichlich Kritik. Von vielen wird die Ausstellung als Geburtsstunde der Kunst im öffentlichen Raum in Deutschland betrachtet.

Der Kunsthistoriker Prof. Volker Plagemann war ab 1973 Leiter der Kulturbehörde in Bremen, später für lange Zeit in Hamburg tätig. Für ihn sind vor allem zwei Ursachen entscheidend für eine wachsende Anzahl von Kunstwerken in der Öffentlichkeit. In den 1970ern wurde die Zuständigkeit für die öffentliche Kunst verändert. Nun waren nicht mehr die Fachleute aus der Bauverwaltung für die künstlerische Gestaltung und Ergänzung öffentlicher Räume zuständig, sondern Kultur- und Kunstkenner. Außerdem wurden Künstler in die Planung mit einbezogen. Sie entschieden mit, wo und wie Kunstwerke realisiert wurden.

Bücherskulptur vor Universität (Foto: Bernd Settnik dpa)
Naheliegend: Bücher-Skulptur vor UniversitätBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Damit änderte die Kunst ihr Erscheinungsbild, betont Plagemann. Gab es vorher viele „brave“ Skulpturen wie lesende Mädchen vor einer Stadtbibliothek oder die Darstellung eines schreibenden Jungen vor einer Schule, wurde die Kunst nun unabhängig. Das sorgte oft für Zündstoff. Denn dadurch wurden die Werke für viele auch unverständlich. Mit einem festen Etat gestalten Kulturbehörden seit dieser Zeit öffentliche Räume und Gebäude - in Hamburg sogar Wasserflächen.

Von der Straßenkunst zur Street Art

Später kam zu der Straßenkunst, die Werke aus der musealen Atmosphäre befreien wollte, die "street art". Manchmal im Auftrag von Städten oder Unternehmen, oft auch illegal, entstanden Kunstwerke auf urbanen Freiflächen. Bekanntestes Beispiel, aber nur ein kleiner Teil der „street art“, ist die komplexe-Graffiti-Kultur - heute aus modernen Großstädten nicht mehr wegzudenken.

Graffiti an Mauer (Foto: DW)
Häufig illegal, aber inzwischen städteprägend: Graffiti-KunstBild: DW

Heute, so Volker Plagemann, besteht ein buntes Nebeneinander von Auftragskunst und illegalen Werken in öffentlichen Räumen. Hinzu kommt, dass Kunst im öffentlichen Raum längst nicht mehr nur aus Skulpturen oder Malereien an Häuserwänden besteht. An manchen Orten werden Bilder oder Videos auf große Flächen projiziert. Ob Tanzgruppe, Trommelrunde oder ein einzelner Pantomime, die „street art“ ist vielfältig. Und so ist auch ihr Charakter: ob anspruchsvoll, platt, tiefsinnig, abstrakt, realistisch oder nur kommerziell – für alles ist ein Beispiel zu finden.

Die öffentliche Förderung von Kunst hat in den letzten Jahren immer mehr abgenommen. Zunehmend setzt man stattdessen auf Sponsoren und private Financiers.

Auf die Frage, ob Kunst im öffentlichen Raum heute eher akzeptiert und angenommen wird als früher, antwortet Kunsthistoriker Plagemann nüchtern:“ Kunst ist immer akzeptiert bei denen, die sich darauf verstehen. Bei den anderen ist sie nicht akzeptiert.“

Autor: Günther Birkenstock

Redaktion: Jochen Kürten