Kunst im Verein
5. Januar 2012Seit ein paar Tagen hängt ein neues Bild an der Wand von Tobias Braun. Eine großformatige Schwarz-Weiß-Fotografie von einem Baumstamm. Die Künstlerin hat ein türkisfarbenes Parallelogramm darauf gedruckt und das Werk mit dunklem Holz gerahmt. Tobias Braun hat das sofort gefallen. Die Schöpferin des Werks, Lucy Skaer, ist eine aufstrebende Künstlerin aus Großbritannien. Tobias Braun ist überhaupt erst an diese Fotografie gekommen, weil er im Kunstverein Hamburg Mitglied ist. Anders als Museen, die Kunst sammeln, und Galerien, die Kunst kaufen und verkaufen, wollen Kunstvereine zeitgenössische Kunst vermitteln. Das tun sie, indem sie Ausstellungen oder Vorträge veranstalten, Künstler einladen und Diskussionsrunden abhalten.
Der Kunstverein Hamburg ist einer von mehr als 300 Kunstvereinen in Deutschland. Einmal im Jahr verkaufen viele dieser Vereine auch Kunst, meist zum Ende eines Jahres in einer Aktion, bei der Mitglieder Kunstwerke günstig kaufen können: die sogenannten "Jahresgaben", Objekte, die Künstler für dieses Ereignis zur Verfügung stellen.
Kunstvereine – ein deutsches Phänomen
Dass Kunstliebhaber wie Tobias Braun einmal im Jahr zu guten Konditionen Kunstobjekte erstehen können, ist aber nicht das Einzige, was eine Mitgliedschaft im Kunstverein auszeichnet: Mitglieder haben freien Eintritt in die Ausstellungen anderer Kunstvereine und werden per Newsletter über Neuigkeiten in der Szene informiert. Das Wichtigste ist für Tobias Braun aber, dass er sich im Kunstverein für zeitgenössische Kunst engagieren könne. Er zahlt jeden Monat 41 Euro Mitgliedsbeitrag und unterstützt damit die Arbeit des Vereins.
Mehr als 120.000 Deutsche engagieren sich wie er in Kunstvereinen. Es gibt sie nicht nur in großen Metropolen wie Hamburg, sondern auch in kleinen Städten und in ländlichen Gebieten und Kunstbegeisterte trafen sich so auch schon in früheren Zeiten. Eine kleine Gruppe von Hamburger Bürgern zum beispiel kam im Jahre 1817 einmal in der Woche bei einem Kunstsammler zusammen. Die Gruppe schaute sich gemeinsam Stiche und Zeichnungen damals aktueller Künstler an, die aus den Sammlungen der Kunstliebhaber stammten. Immer mehr Leute kamen hinzu, bis die Gruppe in größere Räume ausweichen musste. Schließlich gaben sich die 19 Mitglieder eine Verfassung, in der sie unter anderem den Zweck ihrer Treffen formulierten: zusammenkommen, um sich über die bildende Kunst auszutauschen. Auf diese Weise entstand der Kunstverein in Hamburg als einer der ersten in Deutschland.
Die erste öffentliche Ausstellung des Vereins war allerdings ein Flop. Jedenfalls wurde sie 1826 so wahrgenommen. Tatsächlich war es aber ein wichtiges Ereignis: Von jetzt an gab es in Hamburg regelmäßig Ausstellungen, bei denen Künstler ihre Werke präsentieren konnten.
Kunst für Bürger durch Bürger
Kunstvereine wurden ursprünglich gegründet, um den Bürgern Kunstwerke zugänglich zu machen, die bis dahin ausschließlich dem Adel vorbehalten waren. Kunst war schlicht zu teuer, als dass ein Einzelner sie sich hätte leisten können. Das Bürgertum emanzipierte sich jedoch vom Adel, wollte sich auch mit Kultur beschäftigen. So entstanden zwischen 1800 und 1840 die ersten Kunstvereine in Deutschland.
Dass es sie bis heute gibt, hält Florian Waldvogel für unbedingt notwendig. Man brauche eine Instanz in Deutschland, die losgelöst von politischen und eigenen Interessen junge Kunst zeige und neuen Ideen Raum gebe. Der Direktor des Kunstvereins Hamburg weiß aber, dass die Mitgliedsbeiträge heute lange nicht mehr reichen, um einen Kunstverein zu finanzieren: "Die Stadt unterstützt den Kunstverein, dann kommen die Mitgliedsbeiträge dazu. Circa 50 Prozent müssen wir selbst erwirtschaften." Das ist nicht immer einfach, das Budget ist meist knapp. "Früher hat man knapp 10.000 Mark für eine große Ausstellung gezahlt, heute sind es schon um die 40.000 Euro, die man investieren muss."
Tobias Braun genießt es wiederum, als Mitglied im Kunstverein "sein eigenes kulturelles Leben mitzugestalten". Alle drei Jahre kann er als Mitglied den Vorstand des Vereins mit wählen. Damit sind Kunstvereine noch immer lebendig, noch immer ein Ort der aktiven Auseinandersetzung mit Kunst.
Autorin: Laura Döing
Redaktion: Gudrun Stegen