1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kulturkampf auf Russisch

Detlev Karg7. August 2002

Zerrissene Bücher in einer überdimensionalen WC-Schüssel und ein übereifriger Staatsanwalt: Viel fehlt in Russland offenbar nicht mehr bis zur öffentlichen Bücherverbrennung.

https://p.dw.com/p/2XM3
Ein Schmutzfink in den Augen der Saubermänner: Wladimir SorokinBild: AP

Erniedrigung und juristischer Druck sollen ihn gefügig machen. Der russische Autor Wladimir Sorokin hat bereits unter der Herrschaft der KPdSU seine Romane unter schwierigen Bedingungen veröffentlicht. Nun, im "demokratischen" Russland jedoch, ergeht es ihm richtig schlecht. Jüngstes Beispiel in einer Serie von Demütigungen und Einschüchterungen ist eine Anzeige wegen Pornographie, die an Lächerlichkeit kaum zu überbieten ist. Dabei geht es um ganze vier Seiten in seinem bereits 1999 veröffentlichten Roman "Der himmelblaue Speck".

Ein Literat als Staatsfeind?

Der wegen angeblicher Pornographie Angeklagte hat indes die Aussage vor der Staatsanwaltschaft in Moskau verweigert. "Ich halte dieses Verfahren für erniedrigend für mich als Schriftsteller und für die russische Literatur insgesamt sowie für unsere famosen Ermittlungsorgane, die sich plötzlich und unerwartet mit der künstlerischen Literatur befassen", begründete der 46-jährige Autor sein Verhalten.

Wladimir Sorokin Der himmelblaue Speck
Sorokin, Vladimir: Der himmelblaue Speck. Roman. Aus d. Russ. v. Dorothea Trottenberg. 2000. 440 S. 21,5 cm. Gebunden. 628gr. ISBN: 3-7701-4881-9, KNO-NR: 08 91 19 21 -DUMONT LITERATUR UND KUNST VERLAG- 24.80 EUR

Ein kurzer Blick in den Roman, der zum Bestseller avancierte und in Deutschland im Kölner DuMont-Verlag erscheint, zeigt, wie grotesk die Kampagne gegen Sorokin ist: Im Jahr 2068 der Zukunft steht Russland unter chinesischer Hegemonie. Geklonte Dichter wie Dostojewski schreiben an Texten, währenddessen sie in ihren Körpern den blauen Speck produzieren. Dieser wirkt als eine Art Droge. Um die chinesischen Kontrollen zu umgehen, wird die Droge per Zeitmaschine zurück ins stalinistische Moskau befördert. Auch Stalin selber spritzt sich das Wunderfett, dank dessen die sowjetisch-russische Geschichte einen ganz anderen Verlauf als den bekannten nimmt. Zwischenzeitlich haben einige der geklonten Persönlichkeiten Sex miteinander. Soweit der Inhalt, den der Staatsanwalt moniert.

Staatstragendes Banausentum

Dahinter steht jedoch eine Kampfansage von ganz anderer Seite, und diese ist wiederum vom Kreml motiviert. Die Anzeige wegen Pornografie wurde bezeichnenderweise von einem Mitglied der Jugendbewegung "Gemeinsamer Weg" erstattet, die in Russland wegen ihrer Unterstützung des Präsidenten auch als "Putin- Jugend" bekannt ist. Sorokin ziehe die russische Literatur "in den Schmutz", heißt es von dort. Ziel der selbsternannten Saubermänner ist es, "schändliche" moderne Literatur durch "nützliche" Klassiker zu ersetzen.

Putins Fanclub sorgt für ein sauberes Russland

Die Organisation trat als eine Art Nachfolger des sowjetischen Jugendverbandes Komsomol erstmals im November 2000 an die Öffentlichkeit mit einer Großdemonstration für Präsident Putin. Die enge Verbindung zum Kreml wird zwar geleugnet, doch "Gemeinsamer Weg" verfügt über viel Geld. Die Demonstranten geben nach russischen Presseberichten zu, mit Internetkarten, Pagern, CDs und ähnlichem entlohnt zu werden. Dafür vertreten sie ideologisch Anstand und Moral, sind gegen das Rauchen und Trinken.

Eine Toilette als Symbol der geistigen Reinheit

In dieses Konzept passte auch eine Kundgebung "für die körperliche und geistige Gesundheit" Ende Juni 2002. Interessierte Teile der Bevölkerung hatten dabei Gelegenheit, Werke Sorokins zu zerreißen und in eine riesige Toilettenschüssel zu werfen. Unterstützung aus der Politik ist den sauberen Jugendlichen gewiss. "Solche Sorokins erziehen heutzutage unsere Skinheads, die dann Gewalttaten verüben", wird etwa der der Duma-Abgeordnete Gennadi Raikow zitiert. Schriftsteller und Journalisten dürften nicht alles schreiben, sagte der vom Kreml eingesetzte Menschenrechtsbeauftragte Oleg Mironow. "Sie sollten einer inneren Zensur folgen, die durch die eigene Moral bestimmt wird".

Sorokin findet Verbündete

Das Ermittlungsverfahren ist jedoch auch auf Kritik gestoßen und brachte eine Gegenöffentlichkeit an Sorokins Seite. "Wenn man bei uns damit anfängt, Schriftsteller wegen ihrer Werke zu verfolgen, dann ist das ein gefährlicher Präzedenzfall", zitierte die Zeitung Iswestija etwa jüngst den Kulturminister Michail Schwydkoj. Damit habe die Staatsmacht einmal mehr gezeigt, dass sie ohne jegliche Beweise alles auf den Kopf stellen kann, kommentierte die Zeitung Wremja MN den Antrag der Justiz. Viele Russen erinnern sich noch an die gnadenlose sowjetische Hetze gegen Schriftsteller wie Boris Pasternak, Alexander Solschenizyn oder Anna Achmatowa.

Von Bildung und Unbildung

Der "Gemeinsame Weg" hat sogar Sammelstellen für Bücher der russischen postmodernen Autoren eingerichtet. Diese sollen dann in Werke des Sowjetklassikers Boris Wassiljew umgetauscht werden. Derzeit im Angebot: Die Kriegserzählungen des Autors, der die heldenhafte Rote Armee beschwört. Aber nicht nur die Postmodernen gehören nach Meinung der "Putin-Jugend" abgeschafft: Den Vater des Kommunismus, Karl Marx, setzten sie ebenfalls auf die Liste der größten Schädlinge Russlands. Der lebe zwar nicht mehr, "aber auch ihm schicken wir die Bücher in seine Heimat nach Karl-Marx-Stadt", verkündete Jugendführer Wassili Jakemenko.

Dass Marx in Trier geboren wurde und Karl-Marx-Stadt heute wieder Chemnitz heißt, ist Jakemenko offenbar entgangen. Ein bisschen mehr an Bildung zahlt sich manchmal aus.