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Mons: Stetiger Wandel im Schneckentempo

Bernd Riegert, Mons18. August 2015

Das belgische Mons erfindet sich als europäische Kulturhauptstadt neu. Mehrere neue Museen haben eröffnet und zahlreiche Installationen prägen das Stadtbild. Ein sommerlicher Streifzug durch Mons.

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Europäische Kulturhauptstadt Mons 2015 - Ausstellung "La Chine Ardente"
Bild: DW/B. Riegert

In einem kleinen Zelt im Schatten des barocken Glockenturms von Mons haben zwei Aktionskünstler ihren "langsamen Park" aufgebaut, wobei der Begriff Aktion eigentlich fehl am Platze ist. Denn hier führen ein paar Dutzend Weinbergschnecken vor, dass Zeit relativ ist. Gemütlich sitzen die Tiere auf Schaukeln, Brücken, Drahtseilen oder Laufrädern. Es passiert wenig. Von Hektik keine Spur. Die Schnecken lassen sich nicht hetzen und auch nicht dressieren. Genau das soll der Schnecken-Zirkus ausdrücken. Den Besuchern gefällt das eher gemächliche Tempo, das die Kulturhauptstadt Mons (flämisch: Bergen) im Südwesten Belgiens vorlegt.

Europäische Kulturhauptstadt Mons 2015 - Slow Park
Bild: DW/B. Riegert

Zehn Kilometer Literatur

Fünf neue Museen - von Malerei bis Kriegsgedenken - hat die Kleinstadt an der belgisch-französischen Grenze vorzuweisen. Renommierte internationale zeitgenössische Künstler zeigen in diesem Sommer ihre teils ausgefallenen Werke. Im Herbst will sich Mons der Renaissance und dem Komponisten Orlando di Lasso widmen, der aus der Stadt stammt. Überall sind Kunstwerke installiert. Die Mauern und Hauswände der Innenstadt sind beispielsweise durch ein langes weißes Band mit Gedichten verbunden. Insgesamt ziehen sich zehn Kilometer Literatur durch den Ort. "La Phrase" heißt das Projekt.

Mit Wörtern überzogene Mauer in Mons, Foto: Riegert
Paul Verlaine am laufenden Meter: Gedichte durchziehen die StadtBild: DW/B. Riegert

Für Johan Vreys, einen der Organisatoren von "Mons 2015", sind nicht nur die vielen zeitgenössischen Ausstellungen in diesem Sommer für die Kulturhauptstadt prägend, sondern auch das neue "Doudou"-Museum, das eine alte Tradition lebendig werden lässt. Mons feiert jedes Jahr ein riesiges Volksfest zu Ehren der Stadtpatronin Waltraud: mit Umzügen und einem Schaukampf zwischen dem Heiligen Georg und dem Drachen. Im neu gebauten Museum am Rathaus, wird der "Doudou", so heißt das Fest im Volksmund, interaktiv und multimedial nachgestellt. "Jetzt kann man das uralte Brauchtum im Museum jeden Tag erleben. Die internationalen Gäste können die Bedeutung des Kampfes zwischen dem heiligen Georg und dem Drachen, zwischen Gut und Böse, besser verstehen", erklärt Johan Vreys. "Sie verstehen auch, warum die ganze Stadt bei diesem Fest ein wenig verrückt ist." Doudou ist sogar Teil des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO.

Glockenturm wiedereröffnet

Endlich zu betreten ist in diesem Sommer der barocke Glockenturm von Mons: der Belfry. 30 Jahre lang war der Turm, der früher die Zeit und den Lebenstakt in Mons vorgab, wegen Baufälligkeit geschlossen. Noch während des Kulturhauptstadtjahres wurden die jahrelangen Renovierungsarbeiten abgeschlossen. "Die Menschen sind wirklich hierhier geströmt, als der Glockenturm geöffnet wurde. Denn der Turm war auch für die Einwohner von Mons so lange nicht zugänglich", sagt Johan Vreys von der Stiftung Kulturhauptstadt Mons.

Glockenturm Belfry in der europäischen Kulturhauptstadt Mons, Foto: Riegert
Neues, altes Wahrzeichen: Der Belfry mit nagelneuem MuseumBild: DW/B. Riegert

Mons ist das Ruhrgebiet Belgiens

Wandel, Veränderung und Metamorphose - darum geht es den Organisatoren des Kulturhauptstadtjahres in Mons. Denn noch immer haftet der Stadt und dem Landstrich drumherum, der Borinage, das Image des Kohlereviers, der verarmten Menschen, der industriellen Revolution an. Doch dieses Zeiten sind lange vorbei, sagt Yves Vasseur, der Intendant des Kulturhauptstadtjahrs in Mons. Die Borinage ist seit Ende der 1950er Jahre Geschichte. Die Zechen sind zu, längst haben sich Firmen wie Google und Microsoft in Mons angesiedelt. Das vielfältige Programm der Europäischen Kulturhauptstadt sollte dieses Image mit einem üppigen Angebot an Ausstellungen, Theater, Tanz, Musik und Festivals abschütteln helfen. Bislang sind im Jahr 2015 mehr als eine Million Besucher in die Stadt gekommen.

"Verwandlung der Stadt führt zur Metamorphose der Gemüter"

"Sie entdecken etwas Schönes, Friedliches, Großzügiges. Ich bin sicher, dass sich das Bild von Mons wandelt, nicht nur in Belgien, sondern auch in den Nachbarländern Frankreich, Niederlande und Deutschland", glaubt der Intendant. Die Borinage rund um Mons sei ganz gut mit dem Ruhrgebiet in Deutschland zu vergleichen, auch da habe der Strukturwandel tiefe Spuren hinterlassen, so Vasseur. Wie im Ruhrgebiet könne die Kultur auch den Menschen in Mons ein neues Bewusstsein geben. Die erneuerte Infrastruktur, neue Bauten und neue Museen seien dabei nur das sofort sichtbare Zeichen des Wandels. "Ich wusste, dass es eine Verwandlung in der Stadt geben würde, aber wir haben auch eine Metamorphose der Gemüter der Menschen von Mons bewirkt. Das ist vielleicht noch wichtiger."

Installation aus Büchern an der Universität von Mons, Foto: Riegert
Wissen im Überfluss: Quellende Bücherkaskaden an der UniversitätBild: DW/B. Riegert

Nach den Ausstellungen kommen die Start-ups

In diese Richtung zielt auch Kurator Dirk Snauwaert mit seiner Ausstellung "Atopolis", in der 23 internationale Künstler ihre Vorstellung von einer idealen Stadt zeigen. "Es ging uns bei der Auswahl der Künstler auch um eine Art internationalen Magnetismus. Die ganze Welt sollte einmal auf diese Region gucken. Die lokale Bevölkerung soll auf der anderen Seite ihre eigene Geschichte einmal komplett anders sehen können." Die Ausstellung wird am Ende des Kulturhauptstadtjahres wieder verschwinden. Die Ausstellungsgebäude werden dann junge Start-up-Unternehmen beherbergen. Auch das ist Teil des Wandels.

Verbotszeichen bilden gemeinsam ein großes Herz, Foto: Riegert
Die Stadt sagt Nein: Liebe statt Verbote an der ProvinzregierungBild: DW/B. Riegert

Gewandelt habe sich auch die Zusammenarbeit der verschiedenen Kulturzweige in der Stadt, meint Intendant Yves Vasseur. Früher habe man gegeneinander oder parallel gearbeitet. Nach acht Jahren Vorbereitung für das Kulturhauptstadtjahr arbeite man jetzt miteinander. Der Wandel sei harte Arbeit gewesen und gehe manchmal im Schneckentempo vonstatten, aber es gehe voran. So wie im "langsamen Park" der Schnecken am Glockenturm.