1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kulturfabrik im Herzen von Paris

1. Februar 2002

Vor 25 Jahren wurde in Paris das Centre Georges Pompidou eröffnet. Das Kunst- und Kulturzentrum zählte damals wie heute zu den spektakulärsten und umstrittensten Bauten der französischen Hauptstadt.

https://p.dw.com/p/1odT
Centre Georges PompidouBild: AP

Die Pariser Bürger brauchten eine Zeit lang, bis sie sich an das eigenwillige Bauwerk gewöhnt hatten. Immerhin hat das Centre National d'Art et de Culture Georges Pompidou Ähnlichkeiten mit einer Raffinerie, die mitten in der Stadt zwischen historischen Häusern errichtet wurde. Von der Konstruktion aus Glas und blauen, roten und grünen Metallröhren waren die Bewohner des 4. Arrondissements bei seiner Einweihnung im Jahre 1977 nicht gerade begeistert.

Architektionische Vorreiterrolle

Entworfen wurde das Gebäude im Industrieschick von dem Engländer Richard Rogers und dem Italiener Renzo Piano. Sie wollten mit dem hochmodernen Centre Paris architektonisch ins 21. Jahrhundert führen. In fünf Jahren Bauzeit wurde für beinahe eine Milliarde Francs ein sehr gewagtes und sicher nicht konservatives Bauwerk errichtet. Alle Installationskanäle sind an der Außenseite des Gebäudes angebracht. An der Hauptfassade befindet sich eine Rolltreppe, die einer Raupe aus Glas gleicht und außen am Bauwerk nach oben führt.

Heute hat sich die Einstellung der Pariser Bürger gegenüber ihrem Centre geändert: Sie sind stolz auf das mittlerweile weltberühmte Kulturzentrum – nicht nur auf die Architektur, sondern auch auf den Inhalt.

Kultureller Supermarkt

Auf acht Ebenen beherbergt das Pompidou Vortrags- Ausstellungs-, Theater und Musiksäle, mehrere Kinos, und ein Forschungsinstitut für Akustik und Musik. Außerdem beherbergt es das staatliche Museum für Moderne Kunst. Als kulturellen Supermarkt bezeichneten Kritiker diese Mischung vor 25 Jahren. "Der Ausdruck ‚Supermarkt‘ war nicht gerade wohlmeinend", erinnert sich Jean-Jacques Aillagon, der Direktor des Centre Pompidou. "Man dachte, hier werde zweitklassige Kultur präsentiert. Das Gegenteil ist der Fall und darauf beruht der Erfolg des Centre. Gleichzeitig bemühen wir uns, dass es möglichst wenige Barrieren zwischen dem Besucher und dem Kunstwerk gibt. Der Begriff Supermarkt der Kultur bleibt für mich ein positiver Begriff, ich empfinde die Bezeichnung nicht als herabsetzend"

Etwa die Hälfte der 15.000 Menschen, die das Kulturzentrum täglich besuchen, begeben sich in die große Bibliothek. Die Bibliothek bietet nicht nur Bücher und eine große Zeitschriftensammlung an, sondern auch Studienmöglichkeiten mit Internetplätzen, ein Sprachlabor, in dem 135 Sprachen und Dialekte gelernt werden können und auch Kabelfernsehen mit zehn internationalen Programmen. Pressereferentin Danielle Chatel erzählt, dass die arabischen und das chinesische Programm besonders häufig eingeschaltet werden. "Und an manchen Spieltagen der Fußball-Weltmeisterschaft steht eine riesige Menge um die Apparate mit italienischem Fernsehen", fügt sie hinzu.

Im zweiten Stock können sich die Besucher Dokumentarfilme anschauen. Zusätzlich steht eine Sammlung mit rund 10.000 CDs zur Verfügung. Das Prinzip der Bibliothek ist: kostenloser Eintritt und größtmögliche Freiheit. Wer Hilfe benötigt, dem wird geholfen.

Die Philosophie, die dahinter steckt

Kultur, gratis, mitten in der Stadt, das war die Idee von Georges Pompidou. Der Präsident hatte den Mut, die Entscheidung über den Bau des Zentrums keinem Politiker oder Kulturfunktionär, sondern einer unabhängigen Kommission zu überlassen, meint Direktor Jean-Jacques Aillagon. "Der große Vorzug des Präsidenten Pompidou bestand darin, dass er mehr ein Mann der Kultur als einer der Politik war. Georges Pompidou interessierte sich persönlich sehr für die Moderne, zu einem Zeitpunkt, als die französische Gesellschaft der zeitgenössischen Kultur nicht sehr aufgeschlossen gegenüberstand. Kultur, das war die ruhmreiche Vergangenheit. Der Impressionismus, die Musik des beginnenden 20. oder lieber noch des 19. Jahrhunderts", erklärt er.

Das Centre Pompidou erfüllt eine soziale Funktion, ergänzt Danielle Chatel. Sie beobachtet täglich, dass viele Besucher aus den nördlichen und östlichen Vorstädten von Paris kommen, in denen es kaum kulturelle Einrichtungen gibt. "In den Jahren der extrem hohen Arbeitslosigkeit kamen auch Obdachlose hierher. Sie sagten, in den Stunden, die sie etwa in der Bibliothek verbracht hätten, hätten sie sich wie normale Menschen gefühlt. Das habe ihnen geholfen, Würde und Stolz aufrechtzuerhalten. Für uns war das sehr bewegend."

Deutsche Dependance

Mit dem Bau des Kulturzentrum hat sich das Stadtviertel gewandelt. Es ist internationaler geworden. "Auch wir müssen uns verändern", sagt Jean-Jacques Aillagon: Das Centre sollte stärker in der französischen Provinz und im europäischen Ausland präsent sein. Mit Deutschland hat man schon konkrete Verhandlungen aufgenommen. "Wir sind mit unseren Kollegen der Stiftung Preussischer Kulturbesitz im Gespräch. Sehr wahrscheinlich wird in Berlin eine Zweigstelle des Centre Pompidou entstehen. Im Gegenzug werden die Berliner Sammlungen hier regelmäßig zu sehen sein.", erklärt Aillagon. Wenn alles nach Plan verläuft, könnte die Berliner Dependance schon 2004 eröffnet werden. Christoph Heinemann/(fro)