1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kulinarische Revolution

22. Dezember 2001

Der knusprig gebratene Truthahn, der mit in Cognac eingelegten Pflaumen und krebsroten Hummerschwänzen verziert ist, lässt das Wasser im Munde zusammenlaufen. "Dinde sur prune et homard", heißt diese edle Gaumenfreude.

https://p.dw.com/p/1V1l
Französische LeckereienBild: AP

Das Rezept stammt aus dem Kochbuch Jules Gouffés von 1867, das in Frankreich zu dieser Zeit von zahlreichen Genießern gerne gelesen wurde. Unter dem Titel "Zu Tisch im 19. Jahrhundert" zeigt das Pariser Musée d'Orsay bis zum 3. März 2002 eine Ausstellung, die kurz vor Weihnachten ausgefallene Tipps für den Festtagsschmaus und den feierlich gedeckten Tisch gibt. Gemälde, Zeichnungen, Plakate, Kochbücher, feinstes Silberbesteck und Porzellangeschirr zeigen, was, wie und wann im Frankreich des 19. Jahrhunderts gegessen wurde.

Die wertvolle Entdeckung der Konservendose

"Es war das erste, wirklich gastronomische Jahrhundert. In Frankreich fand geradezu eine kulinarische Revolution statt", erklärt der Ausstellungsleiter Bruno Girveau. Mitverantwortlich für die Umwälzung der Essgewohnheiten war vor allem die Möglichkeit der Konservierung. Dadurch, dass Nicolas Appert (1749-1841) die Konservendose erfand, war die Küche nicht mehr an den Rhythmus der Jahreszeiten gebunden. "Dank dieser kostbaren Entdeckung verwandelt man den kältesten Winter in Frühling und Sommer. Im Februar isst man Erbsen, die wahrhaftig kein Frühgemüse sind", schrieb Grimod de La Reynière im Jahr 1806.

Grimod war weder ein Intellektueller, noch ein Koch. Er war ein Feinschmecker par excellence und machte Frankreich mit der Gastronomie bekannt. Er veröffentlichte den "Almanach des Gourmands" (1803-1812) und wurde zum Meister des guten Geschmacks. Grimods gastronomischer Führer ist in gewisser Weise der Vorläufer der heutigen Feinschmecker-Bibel "Michelin".

Obststand
Bild: Bilderbox

Dank der Erfindungsfreude Apperts, der anfangs Champagnerflaschen mit breitem Flaschenhals benutzte, um Frühgemüse und exotische Früchte in Formalin haltbar zu machen, zierten Spargel, Bananen und Zitrusfrüchte die Tische der französischen Bourgeoisie, die Seiten der zahlreichen Kochbücher, die im 19. Jahrhundert entstanden, und die Leinwände einiger Maler (Edouard Manet, Gustave Caillebotte), die sich unter anderem damit vergnügten, Stillleben und Tischszenen mit leckeren Früchtedesserts oder verlockenden Fleisch- und Gemüsegerichten zu entwerfen.

Leckereien aus allen Regionen

Gaumenfreuden aus der Bretagne, der Picardie oder dem Burgund füllten auf einmal die Marktstände in Paris. "Die Erfindung der Eisenbahn und der Schienen förderte den Transport von Lebensmitteln aus den französischen Regionen", erklärt der Ausstellungsleiter. Auch frische und verderbliche Produkte konnten so schneller transportiert werden. Auf der Weltausstellung von 1878 zählte so ein Zeitzeuge mehr als 200 verschiedene Kartoffelarten, ungefähr 30 Bohnen- und Erbsengattungen und zahlreiche Käsesorten.

Kaltes Büfett
Bild: Bilderbox

Vor allem der Briekäse aus Meaux und Melun, der schmackhaft auf etwas Stroh serviert wurde, eroberte die Herzen der französischen Gourmands. In Öl verewigt wurde der Weichkäse von dem französischen Genremaler François Bonvin. Das Gemälde "Nature morte au brie" (Stillleben mit Brie) entstand 1863. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der "Fromage de Brie" vom cremigen Camembert entthront.

Auch die Austern aus der Normandie fanden dank der Eisenbahn auf die Teller der Feinschmecker. Sie wurden Waggonweise nach Paris transportiert. "Die Austern verkaufen sich massenweise", berichtete ein Zeitzeuge. Vor allem die flachen Austern aus dem bretonischen Fischerdorf Cancale, die auch Germain Ribot 1870 zeichnete, gehörten zu den Lieblingsaustern der Franzosen.

Die Ausstellung bietet mit den zahlreichen Gemälden, Zeichnungen, Plakaten, Kochbüchern und der Rekonstruktion einiger großer, bekannter Restaurants und Cafés einen atmosphärischen Überblick über die kulinarische Revolution des 19. Jahrhunderts, die - so der Geschmacksmeister Grimod - aus Frankreich erst das "Land der Kochkunst" machte.