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Kroatische Regierung will Entschädigungen an Österreicher zahlen

1. Dezember 2005

Die Regierung in Zagreb hat beschlossen, österreichischen Donauschwaben Entschädigung zu zahlen. Der kroatische Präsident Mesic protestiert dagegen. „Ein mustergültiges Beispiel“, heißt es hingegen in Berlin.

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Deutsche Entschädigungszahlung an ehemalige Zwangsarbeiter (2001)Bild: AP

"Ein gefährlicher Präzedenzfall, der nicht nur Kroatien schaden wird". Mit diesen Worten beschrieb der kroatische Präsident Stipe Mesic den Vertrag zwischen Wien und Zagreb, den die Regierung Sanader am vergangenen Wochenende vorstellte. Darin ist die Zahlung von Entschädigungen an Vertriebene vorgesehen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Österreich übersiedeln mussten. Der Vertragsentwurf bezieht sich auf Eigentum, dass nach 1955 enteignet wurde. Vor 1955 Enteignetes ist nicht Thema dieses Dokumentes, denn diese Frage wurde in einem früheren Staatsvertrag zwischen Jugoslawien und Österreich geklärt. Die möglichen Folgen dieser Regierungsentscheidung sind bis jetzt unklar: Kritiker fragen sich, wie vertriebene Italiener oder Deutsche darauf reagieren könnten, mit deren jetzigen Heimatländern kein derartiger Vertrag abschlossen wurde. Und es wird die Frage gestellt, ob dieser Vertrag ein Dankeschön sei an die Österreicher für ihre Unterstützung bei der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen Kroatiens mit der EU.

Urteil des Verfassungsgerichtes

"Ich denke, meine Regierung tut nur das, was sie tun muss, und das ist die Achtung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes und der vom Parlament verabschiedeten Gesetze", antwortete Regierungschef Ivo Sanader am Dienstag (29.11.) in Zagreb auf die Frage von Journalisten nach dem Vertrag zur Entschädigung. "Kroatien ist ein Rechtsstaat und Gesetze müssen geachtet werden", sagte er und verwies erneut darauf, dass das Gesetz, auf dem der Vertrag beruht, bereits von der Vorgängerregierung auf den Weg gebracht worden sei.

Die Regierung von Ivica Racan hatte die Entscheidung, Entschädigungen zu zahlen, auf einem Urteil des Verfassungsgerichtes von 1999 begründet. Auf welche Personen sich dies überhaupt bezieht, erklärte Justizministerin Vesna Skare Ozbolt: "Dieser Vertrag bezieht sich nicht auf physische oder juristische Personen, die bereits eine Entschädigung erhalten haben oder ein Recht auf eine Entschädigung aufgrund von Bestimmungen des Staatsvertrages hatten. Eigentum österreichischer physischer oder juristischer Personen, die sich bis 1955 auf kroatischem Territorium befanden, ist von diesem neuen Vertrag nicht betroffen." Kroatien erwartet nach den Worten von Skare Ozbolt etwa 440 Forderungen österreichischer Staatsbürger nach Entschädigung für Enteignungen. Was die Ausgaben für die geplanten Entschädigungen betrifft, so erklärte Skare Ozbolt, es sei bisher noch kein Finanzierungsmodell errechnet worden. Nach Presseberichten könnte sich die Entschädigungssumme auf etwa 120 Millionen Euro belaufen.

Gefährlicher Präzedenzfall?

Vor seinem Inkrafttreten muss der Vertrag noch vom kroatischen Parlament ratifiziert werden und das mit einer Zweidrittel-Mehrheit. Das ist allerdings wegen des angekündigten Widerstandes von Seiten der Sozialdemokraten derzeit kaum zu erwarten. In einer überraschenden Fernsehansprache an die Öffentlichkeit hat der kroatische Präsident Stipe Mesic den Vertrag heftig kritisiert: "Wenn wir jetzt neue Kategorien derer anerkennen, die eine Entschädigung fordern können bzw. die Rückgabe ihres Eigentums, dann schaffen wir einen Präzedenzfall. Auf der Grundlage dieses Präzedenzfalles ist es nicht unlogisch, davon auszugehen, dass sich dann auch Italiener und Deutsche zu Wort melden."

Tito-Brandt-Vertrag

In diesem Kontext zählte Mesic, ein entschiedener Antifaschist, einige Gründe auf, die gegen den Vertrag sprechen und die seiner Meinung die Regierung bewusst ignoriere. Unter anderem bezog er sich dabei auf einen Vertrag zwischen dem ehemaligen jugoslawischen Präsident Josip Broz Tito und dem deutschen Bundeskanzler Willy Brandt. Darin wurden die Enteignungen deutschen Eigentums als Kompensation für die enormen Schäden verrechnet, die während des Zweiten Weltkriegs durch die deutschen Besetzer angerichtet worden waren.

Der ehemalige Präsident des kroatischen Verfassungsgerichts, Jadranko Crnic, unter dessen Vorsitz vor sechs Jahren das Urteil über Entschädigungszahlungen verkündet wurde, auf das sich die Regierung Sanader jetzt bezieht, sagte, das Gericht sei für das, was die Regierung nun tue, nicht verantwortlich: "Das Verfassungsgericht hat niemandem vorgeschrieben, was er zu tun hat. Das ist die freie Entscheidung des Parlaments und der Regierung.“

Bund der Vertriebenen wartet ab

Der Vertrag wurde, wie nicht anders zu erwarten, von Österreich begrüßt und vom österreichischen Kanzler Wolfgang Schüssel gelobt. Die deutschen Vertriebenen-Organisationen warten ab. Bevor sie auf den Schachzug der kroatischen Regierung reagieren und möglicherweise Entschädigungszahlungen einfordern, wollen sie offensichtlich erst einmal sehen, in welche Richtung sich der Vertrag mit Österreich entwickelt. Grundsätzlich wird dieser Vertrag aber begrüßt: " Die kroatische Entscheidung ist ein mustergültiges Beispiel. Ähnliches haben nur kleine Länder gemacht, wie zum Beispiel Ungarn, dass sich entschlossen hat, den aus dem Land vertriebenen Deutschen eine Entschädigung zu zahlen. In vielen anderen Ländern wird die Lösung dieses Problems immer wieder auf die lange Bank geschoben", sagte Erika Steinbach, Vorsitzendes des Bundes der Vertriebenen, der nach eigenen Angaben die Interessen von rund 15 Millionen vertriebener und ausgewanderter Deutscher vertritt.

Kroatien unternimmt ihrer Meinung nach bei der Frage der Entschädigungszahlungen für Vertriebene wesentlich mehr als viele andere Länder. Auf die Frage der Deutschen Welle, was die vertriebenen Deutschen in Deutschland erwarten und welche Forderungen die Vertriebenen stellen könnten, hat Erika Steinbach noch keine Antwort: "Ich muss ganz offen sagen, dass ich das noch nicht einschätzen kann. Wichtig ist einzugestehen, dass die Vertreibung Unrecht war und dass sich ein solches Unrecht durch nichts rechtfertigen lässt."

Gordana Simonovic, Zagreb, Srecko Matic

DW-RADIO/Kroatisch, 30.11.2005, Fokus Ost-Südost