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"Krieg mit vertauschten Rollen"

22. März 2003

Die internationale Presse kommentiert am Samstag (22.03.2003) die Intensivierung des Irak-Krieges, die Position der USA und die Rolle der Europäischen Union.

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Für die linksliberale britische Zeitung "The Guardian" ist Enttäuschung die Triebfeder für die intensiven US-Luftangriffe auf Bagdad. "Frustration darüber, dass die irakische Führung trotz der Gerüchte über den Tod Saddams weiter aushält, ist der Grund für die intensivierten 'Angst-und-Schrecken'-Luftangriffe der vergangenen Nacht. (...) Ziel ist es, den Irak ohne jede weitere Verzögerung zu zerstampfen, um Unterwerfung und Kapitulation zu erreichen."

Die Turiner Tageszeitung "La Stampa" meint: "Einen Kampf von Haus zu Haus in Bagdad zu verhindern, hat für das Weiße Haus eine große politische Bedeutung: Inmitten von Leichenbergen von Zivilisten und Soldaten zu kämpfen, in einer von Bombenangriffen zerstörten Stadt, birgt das Risiko der Öffnung einer internen Protestfront im Vietnam-Stil. Die Rollen sind in diesem Krieg vertauscht: US-Präsident George Bush greift an, will aber Opfer möglichst vermeiden. Der irakische Diktator Saddam Hussein verteidigt sich, hat jedoch die gegenteilige Absicht. Denn die einzige Möglichkeit, den Krieg zu beenden und zu überleben ist es, ihn auf den Bildschirmen als ein ungeheuerliches Massaker erscheinen zu lassen."

Das Gute und das Böse

Zu den Widerständen gegen einen Krieg meint "Der Bund" aus Bern: "Entweder ist man für oder gegen den Krieg. Entweder ist man böse oder gut. Russland ist also gut, obwohl es in Tschetschenien einen schmutzigen Krieg führt und sich von der UNO nicht dreinreden lässt. Und China ist ebenfalls gut, obwohl es in Tibet. ... Das will man doch jetzt lieber nicht hören. Krieg ist immer schlecht. Krieg kann nie ein Mittel sein, Probleme zu lösen. Das ist nicht grundsätzlich falsch; es ist sogar grundsätzlich richtig; aber es ist auch sehr einfach. Vielleicht so einfach, dass es halt doch falsch ist."

Die konservative französische Tageszeitung "Le Figaro" warnt vor einem Entgleiten des Irak-Krieges: "Bislang wurden Regime-Änderungen anders herbeigeführt. Wie viele Staatsstreiche haben die USA unterstützt, um ihnen genehme Regimes an die Macht zu bringen? Es bleibt zu hoffen, dass die Kräfte der Koalition ihre eigene Macht beherrschen können, und dass ihnen dieser Krieg nicht entgleitet."

Revolutionierte Kriegsführung

Mit der ungewöhnlichen amerikanischen Kriegsführung im Irak setzt sich die "Financial Times" auseinander: "Donald Rumsfeld (...) zitierte kürzlich den berühmten Von-Clausewitz-Satz, Krieg sei die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln, und sagt dann weiter: 'In diesem Jahrhundert werden diese Mittel zunehmend keine militärischen mehr sein.' Das hat sich jetzt bewiesen. Das US-Bombardement schloss Droh-E-Mails ebenso ein wie elektronische Mitteilungen an hochrangige Iraker und einen Versuch, Saddam Hussein umzubringen, dies alles gefolgt von rascher humanitärer Hilfe, sobald die USA und Großbritannien die südlichen Hafenstädte im Irak kontrollieren. In diesem Sinn versuchen die USA mit einer Mischung aus Geschossen und Freundlichkeit, den Irak zu töten."

Die russische Tageszeitung "Wremja MN" (Moskau) kommentiert die internationale Position der USA: "Wenn man an die Terminologie des Kalten Krieges zurückdenkt, so kann man Präsident George W. Bush als Falken betrachten. Er wird schwerlich lernen, wie eine Taube zu gurren. (...) Es bleibt zu hoffen, dass in der Zukunft dennoch der gesunde Verstand regiert, ebenso wie der Dialog der Zivilisation, gegenseitiges Verständnis und Zusammenarbeit. Bisher aber sieht der Moment der Wahrheit im Irak und rund um den Irak ganz anders aus."

Zerrissenes Europa

Die angestrebte gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union (EU) liege in Trümmern, meint die konservative österreichische Zeitung "Die Presse". "Die EU suchte bei ihrem Gipfel in Brüssel eine neue Einheit, fand aber Dissens. Denn das Bemühen um eine neue gemeinsame Linie war mehr durch Heuchelei als ehrliches Bemühen geprägt. Nur oberflächlich wurde mit einer gemeinsamen Irak-Erklärung der tiefe Bruch zwischen Kriegsbefürwortern und Kriegsgegnern gekittet. (...) Es ist, als ob drei Länder den Dachboden eines Hauses ausbauen möchten, dessen Grundmauern gerade zusammengebrochen sind."

Zusammenstellung: Wim Abbink
Redaktion: Petra Füchsel