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Urteil gegen Nawalny

Roman Goncharenko16. Oktober 2013

Russlands bekanntester Oppositionsführer darf aufatmen. Die fünfjährige Haftstrafe für Alexej Nawalny wurde zur Bewährung ausgesetzt. Experten sehen darin eine Strategie des Kremls, einen Gegner politisch kaltzustellen.

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Alexej Nawalny (Foto: Egor Winogradow)
Bild: DW

Es sah so aus, als hätte Alexej Nawalny damit gerechnet. Mit ernstem Gesichtsausdruck, aber ruhig hörte der russische Oppositionspolitiker dem Richter zu, der die Aussetzung seiner Haftstrafe zur Bewährung verkündet hatte. Dann lächelte der 37-Jährige. Er war offenbar erleichtert.

Ein Gericht in der russischen Provinzstadt Kirow hat am Mittwoch (16.10.2013) das Urteil in erster Instanz gekippt. Die Haftstrafe für Nawalny wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nawalny will die Gerichtsentscheidung anfechten, um nicht als vorbestraft zu gelten.

Der populäre Blogger und Kreml-Kritiker, der sich einen Namen als Kämpfer gegen Korruption gemacht hatte, wurde im Juli 2013 wegen eines Wirtschaftsverbrechens zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nawalny soll 2009 als Berater des Provinzgouverneurs einen staatlichen Forstbetrieb um umgerechnet 400.000 Euro geprellt haben. Nawalny bestreitet seine Schuld und spricht von einem politisch motivierten Prozess.

Putins Sprecher bestreitet Einflussnahme

Es gab schon im Vorfeld mehrere Hinweise, dass die Strafe gegen Nawalny zur Bewährung ausgesetzt werden könnte. So wurde Nawalny nach dem Urteil in der ersten Instanz überraschend freigelassen und durfte bei der Bürgermeisterwahl in Moskau am 9. September kandidieren. Der Oppositionelle wurde zweiter und bekam rund 27 Prozent der Stimmen. Noch im Sommer zeigte sich der russische Präsident Wladimir Putin von dem harten ersten Urteil gegen Nawalny überrascht.

Kritiker sagen, dass Putin damit die Justiz indirekt beeinflusst habe. Putins Sprecher in Moskau dementierte am Mittwoch: "Wir sehen es nicht so". Nawalny jedenfalls ist überzeugt, dass der Präsident persönlich zunächst eine Haftstrafe gegen ihn angeordnet, dann aber seine Meinung geändert habe.

Als Oppositionspolitiker ausgeschaltet

Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck in Österreich glaubt den Grund dafür zu kennen. "Hätte man Nawalny nach seinem deutlichen Erfolg in Moskau bei den Bürgermeisterwahlen jetzt tatsächlich inhaftiert, hätte man ihn zum politischen Märtyrer gemacht", sagte der Russland-Experte in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Eine endgültige Verurteilung hätte auch zu Protesten auf Moskauer Straßen geführt, vermutet Mangott.

Gerhard Mangott (Foto: Celia di Pauli)
Gerhard Mangott: Nawalny soll als Politiker ausgeschaltet werdenBild: Celia di Pauli

Durch die Aussetzung der Strafe für Nawalny habe die politische Führung in Moskau einen "großen strategischen Vorteil errungen", meint Mangott. Als Vorbestrafter darf Nawalny noch jahrelang bei Wahlen nicht antreten. "Das ist das eigentliche strategische Ziel der politischen Führung in Moskau – ihn als politischen Mitbewerber auszuschalten", sagt Mangott.

Expertin: Kreml spielt politisches Tauwetter

Ähnlich sehen das seine russischen Kollegen. Lilia Schewzowa vom Moskauer Carnegie-Zentrum sieht die Wende in Nawalnys Schicksal in einem größeren Kontext. "Der Kreml versucht politisches Tauwetter zu spielen", sagte Schewzowa der DW. Dabei habe Nawalny mit dem neuen Urteil einen "Strick um den Hals" bekommen, so Schewzowa. Der Oppositionelle könne jetzt jederzeit wegen einer Kleinigkeit im Gefängnis landen.

Nawalnys Teilnahme an einer Wahl als Politiker dürfte auf absehbare Zeit auch die letzte gewesen sein. Er wird weder bei der Wahl der Moskauer Stadtparlaments 2014, noch bei der Dumawahl 2016 antreten dürfen. Auch seine Teilnahme an der Präsidentenwahl 2018 ist unwahrscheinlich.

Weniger internationale Kritik?

Die internationale Politik dürfte im Fall Nawalny auch eine Rolle gespielt haben, vermuten Beobachter. Im Februar 2014 richtet Sotschi die Olympischen Winterspiele aus. Außerdem übernimmt Russland den G-8-Vorsitz. "Die Olympischen Spiele sind Putins Lieblingsprojekt", sagt Schewzowa. "Der Kreml will, dass westliche Staatsführer zu Besuch kommen". Deshalb werde "das Tempo der Repressalien" in Russland gedrosselt.

Seit Putins Rückkehr in den Kreml im Mai 2012 stand Russland zuletzt international immer stärker in der Kritik. Ob strengere Vorschriften für Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Haftstrafe für Aktivistinnen der politischen Punkband "Pussy Riot" oder wie neulich Festnahmen von Greenpeace-Aktivisten, Russlands Image im Ausland steht auf einem Tiefpunkt. Vor diesem Hintergrund dürfte die Aussetzung der Haftstrafe gegen einen Oppositionellen die Positionen der Russland-Kritiker schwächen. In diese Richtung äußerte sich auf DW-Frage am Mittwoch der Vize-Regierungssprecher in Berlin Georg Streiter: "Es ist im Zweifelsfall eher günstiger als vorher."

Nawalny bei Festnahme in Moskau 2012 (Foto: Reuters)
Nawalny könnte jederzeit festgenommen werdenBild: Reuters

Selbst wenn Nawalny in nächster Zeit nicht mehr an Wahlen teilnehmen würde, bleibt er einer der bekanntesten Oppositionspolitiker in Russland. Sein Ergebnis bei der Bürgermeisterwahl in Moskau habe seine Popularität deutlich steigen lassen, sagt Experte Mangott. Auch Lilia Schewzowa vom Carnegie-Zentrum glaubt, dass Nawalny durchaus eine Zukunft als starker Oppositionsführer haben könnte. Ihre Prognose: Sollte die Proteststimmung in Russland anhalten, könne Nawalny "das Schachbrett umwerfen", um nach eigenen Regeln zu spielen.