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Tanja Dückers guckt hin

28. Juni 2010

Auch Künstler und Kreative wählen den Bundespräsidenten mit. Überhaupt engagieren sich viele von ihnen politisch. Aber welchen Einfluss hat man als Künstler in der Gesellschaft heute überhaupt noch?

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Eine Seniorin hebt mahnend den Zeigefinger (Foto: dpa)
Hingucken und einmischen - aber wie?Bild: Bilderbox

Es ist gar nicht so einfach, sich in diesen Tagen mit Tanja Dückers zu verabreden. Die Berliner Autorin hat viel zu tun und so bedarf es zahlreicher Mails und Telefonate, bis wir uns in einem Cafe im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg treffen können. Zum Kaffeetrinken kommen wir gar nicht, die Zeit ist knapp, das Gespräch findet schließlich auf einer Bank am Spielplatz statt. Hier nimmt sie später den kleinen Sohn in Empfang – ihr Mann hat seine Mittagspause für die Kinderbetreuung geopfert und wir können wenigstens eine halbe Stunde reden. Alltag im Leben einer viel beschäftigen Autorin und Beobachterin des politischen Geschehens.

Kreative Freiberufler

Die deutsche Schriftstellerin Tanja Dückers 2008 (Foto: dpa)
Tanja Dückers mischt mitBild: picture-alliance/ ZB

Tanja Dückers ist dennoch zufrieden. Hier im Stadtteil leben viele so wie sie: kreative Freiberufler, die Beruf und Familie unter einen Hut bekommen müssen und ihre Sprösslinge häufig einfach zum Arbeitsplatz oder ins Restaurant – und notfalls auch zu Interviews - mitnehmen. Das ist ganz normal. "Wir haben hier fast südeuropäische Verhältnisse", sagt Dückers, die diese Situation keineswegs als Belastung empfindet. Im Gegenteil: Der Nachwuchs ist für sie, wie sie sagt, neben vielem anderen auch eine "literarische Inspirationsquelle".

Publizieren, politisieren, positionieren

Die Schriftstellerin lebt und arbeitet in Berlin – eine Stadt, die quasi automatisch politisiert, wie sie bemerkt. Das Regierungsviertel ist nicht weit und Tanja Dückers mischt sich gerne in politische Debatten ein. Gerade jetzt hat sie das Gefühl, es dürfe nicht so weitergehen wie bisher. Sie macht das am sozialen Klima fest. Aber sie hat sich auch für Joachim Gauck als den nächsten Bundespräsidenten engagiert und den Künstlerappell unterschrieben. Nicht, weil sie jede seiner Positionen teilen würde. Aber: "Gauck kann Menschen mit sehr unterschiedlichen Meinungen zusammenführen." Im übrigen möchte sie "auf keinen Fall Christian Wulff in diesem Amt sehen". Die 41jährige will sich nicht vereinnahmen lassen, betont, sie seit strikt parteiunabhängig, trete nie im Wahlkampf auf. Aber in dieser Frage hat sie sich doch positioniert.

Berlin: Tische stehen auf den Gehwegen vor den Cafes, Bars und Restaurants rund um den Kollwitzplatz im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg,
Am Kollwitzplatz im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg,Bild: picture alliance / dpa

In anderen Fragen auch. Von Berlin aus ist sie in den vergangenen Jahren viel gereist, erzählt sie, vor allem nach Mittel- und Osteuropa, hatte Kontakt zur jüngeren Generation, diskutierte mit Schriftstellerkollegen in Polen, Tschechien oder Bulgarien über NS-Vergangenheit, Weltkrieg, Antisemitismus, kommunistisches Erbe und beobachtet bis heute den Transformationsprozess in diesen Ländern - Erfahrungen, die sich in ihren Texten widerspiegeln: "Das ist alles unglaublich spannend und ich bin froh, dass ich Teil eines Netzwerkes dort sein kann." Sie kritisiert, dass viele Deutsche sich weniger für die Gegenwart in den östlichen Nachbarstaaten interessieren und stattdessen aus nostalgischen oder familienbiographischen Gründen dorthin fahren. Das ist ihr viel zu eindimensional.

Trendscouts und Seismographen

Tanja Dückers hält nicht viel vom sprichwörtlichen Elfenbeinturm, in den sich Künstler gelegentlich zurückziehen. Diese Zeiten seien doch vorbei: "Schriftsteller involvieren sich heute stärker – das finde ich gut". Auch wenn Autoren nur einen geringen Einfluss hätten, so seien sie doch in gewisser Weise "Meinungsforscher und Trendscouts, Seismographen des Zeitgeistes" – als solche würden sie auch von der Politik wahr- und ernst genommen. Nur eines findet sie gelegentlich absurd: Die Erwartungen, die heute an Schriftsteller gestellt würden: "Das Publikum erwartet, dass man sich – jenseits des Buches, das man gerade geschrieben hat – zu gesellschaftlichen Missständen und politischen Fragen äußert. Ich bekomme eine Menge Briefe und Mails mit Fragen, die absolut nicht zu beantworten sind: Von Liebe und Tod bis zur Rettung Deutschlands."

Und das ist dann manchmal sogar der umtriebigen Tanja Dückers zu viel.

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Marlis Schaum