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Kosovo absolviert Pflichtspiel-Premiere

Andreas Sten-Ziemons (mit sid, dpa)5. September 2016

Mitten in der politischen Dauerkrise startet der Kosovo mit einem Punktgewinn in die erste WM-Qualifikation seiner Fußball-Historie. Das Startrecht für das sportlich interessante Team stand am Ende eines langen Ringens.

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Mannschaftsfoto Kosovo vor WM-Qualifikation Finnland gegen Kosovo (Foto: picture-alliance/dpa/M.Ojala)
Bild: picture-alliance/dpa/M.Ojala

Rund um das erste Pflichtspiel seiner Fußball-Nationalmannschaft geht im Kosovo nichts mehr: Politisch präsentiert sich das Land unversöhnlich. In der vergangenen Woche musste eine wichtige Parlamentssitzung abgesagt werden, weil die Politik bis zu offenem Hass abgrundtief gespalten ist. Der Streit des fast nur von Albanern bewohnten Staates mit seinem großen serbischen Nachbarn blockiert alles: Aussöhnung, Annäherung an die EU, überlebenswichtige Reformen und den Kampf gegen die allmächtige Korruption.

Der politische Stillstand hat zur Folge, dass weit über 50 Prozent der Kosovaren im erwerbsfähigen Alter arbeitslos sind. Die Löhne sind niedrig, die Industrie liegt am Boden. Es gibt kaum eine Perspektive, wer kann, geht ins Ausland. Das bekommt auch Deutschland immer wieder zu spüren. Zuletzt hatten im Februar 2015 zehntausende Kosovaren versucht, in Deutschland Asyl zu bekommen. Doch wegen des folgenden Ansturms von Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan wurden die "Armutsflüchtlinge" vom Balkan wieder in ihre Heimat zurückgeschickt.

Mitten in dieser Hoffnungslosigkeit gibt es aber als Lichtblick noch den Sport. Nachdem der Kosovo bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro erstmals eine eigene Mannschaft schickte und mit der Judoka Majlinda Kelmendi auch gleich die erste Goldmedaille holte, gehen die Fußballer in ihre erste Qualifikation für ein großes Turnier. In Turku gab es zum Auftakt der WM-Qualifikation in Finnland beim ersten Pflichtspiel in der Fußballgeschichte der Kosovaren ein 1:1 (1:0) - ein Unentschieden, das fast genauso gefeiert wurde, wie ein Sieg.

"Verstärkung" aus anderen Ländern

Früher musste der fußballverrückte Kosovo immer zum "Mutterland" Albanien schauen, in dessen Nationalmannschaft zahlreiche aus dem Kosovo stammende Spieler aufliefen. Acht Jahre nach der politischen Unabhängigkeit treten die Kicker nun endlich selbstständig und unter eigener Flagge auf der großen Bühne an. Mit dabei sind einige Profis, die bereits für andere Nationen in A-Länderspielen aufgelaufen sind. Bekanntestes Beispiel ist der ehemalige Schweizer Nationalspieler Albert Bunjaku, der in der Bundesliga einst für den 1. FC Nürnberg auf Torejagd ging.

Finnland Fußball WM Qualifikation Finnland vs. Kosovo, Torjubel Valon Berisha (Foto: picture-alliance/dpa/Lehtikuva/J. Nukari)
Valon Berisha (r.) hat sich entschieden: Statt für Norwegen spielt er für den Kosovo - und trifft gegen FinnlandBild: picture-alliance/dpa/Lehtikuva/J. Nukari

Letzte "Neuzugänge" sind das österreichisch-kosovarische Mittelfeld-Talent Sinan Bytyqi und der Kosovo-Norweger Valon Berisha. Beide entschieden sich im August, künftig für den Kosovo aufzulaufen. Berisha, dessen Bruder Veton am Sonntag noch für Norwegen gegen Deutschland spielte, durchlief ab der U15 alle norwegischen Auswahlmannschaften und stand 19 Mal für das norwegische A-Team auf dem Platz. Derzeit spielt er bei Red Bull Salzburg. Bei seinem Debüt für den Kosovo erzielte er in Finnland auch gleich den ersten Treffer. Bytyqi saß in Helsinki auf der Bank, kam aber nicht zum Einsatz. Er galt als eines der größten Talente Österreichs. Seine Entscheidung für den Kosovo stellte für den Österreichischen Fußballverband (ÖFB) einen Rückschlag dar. Der 21-Jährige der bislang für Österreichs U21 auflief, wird derzeit bei Manchester City ausgebildet und spielt dort regelmäßig für die U23.

Und das Potential des kosovarischen Teams ist sogar noch größer: In der Schweizer Nationalelf stehen mit Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka zwei Spieler, die ebenfalls zur kosovarischen Mannschaft wechseln könnten. Für etliche albanische Nationalspieler gilt das Gleiche. Allerdings sehen nicht alle Verbände das Werben des Kosovo um neue Nationalspieler mit Freude. Der Schweizerische Fußballverband (SFV) warf einigen kosovarischen Funktionären Abwerbungsbemühungen vor: "Anstelle eines Aufbaus des kosovarischen Verbandes mit Bedacht und Weitsicht sind seit Wochen Bemühungen seiner Funktionäre erkennbar, Spieler abzuwerben und davon zu überzeugen, in der bald beginnenden WM-Qualifikation für den Kosovo zu spielen", hieß es in einer bereits in der vergangenen Woche auf der SFV-Website veröffentlichten Mitteilung. "Der SFV appelliert an Fairness sowie Respekt und erwartet, dass alle seine Nationalspieler mit Wurzeln in einem anderen Land weder von einem anderen Verband, noch von deren Anhängern unter Druck gesetzt oder angefeindet werden." Gleiches gelte für die Familien dieser Spieler und zwar unabhängig davon, ob sich Eltern, Geschwister und Verwandte in der Schweiz oder in ihrem ursprünglichen Heimatland aufhielten.

Fadil Vokrri, Präsident des Fußballvrebands des Kosovo bei Rede vor FIFA Kongress (Foto: picture-alliance/dpa/J. Mendez)
Im Mai 2016 nahm die FIFA den Kosovo als Mitglied aufBild: picture-alliance/dpa/J. Mendez

Harter Kampf gegen Serbiens Einfluss

Dass Berisha, Bytyqi und Co. heute überhaupt die Wahl haben, für wen sie in der WM-Qualifikation spielen, ist das Ergebnis eines langen Kampfes. Der Weg zur Mitgliedschaft des kleinen Staates in den internationalen Sportverbänden war zermürbend und mühsam. Nachbar Serbien stemmte sich mit allen Mitteln gegen eine Anerkennung Kosovos durch den Sport und machte seinen Einfluss geltend - letztlich aber vergebens. Bereits vor 13 Jahren akzeptierte der Tischtennis-Weltverband den Kosovo als neues Mitglied. Ringen, Judo und andere kleinere Sportarten folgten diesem Beispiel. Erst im Dezember 2014 kam dann der große Durchbruch mit der Aufnahme ins Internationale Olympische Komitee (IOC), schließlich die FIFA-Mitgliedschaft in diesem Mai.

Wie aussagekräftig im Bezug auf die Qualität des Teams aus dem Kosovo das 1:1 in Finnland ist, muss sich gegen die anderen Gruppengegner Kroatien, Türkei, Island und Ukraine noch zeigen. Aber unabhängig vom Endergebnis: Allein die Tatsache, dass in Helsinki ein Pflichtspiel mit kosovarischer Beteiligung stattgefunden hat, ist ein großer Erfolg.