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Korea braucht Vermittler in der Krise

Esther Felden21. August 2015

Die Situation auf der koreanischen Halbinsel kann jederzeit eskalieren, sagt Rüdiger Frank. Der Ostasien-Experte von der Uni Wien glaubt nicht, dass Nord- und Südkorea den Konflikt ohne fremde Hilfe entschärfen können.

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Südkoreanische Soldaten beim Abschuss einer Granate, umgeben von Pulverdampf (Foto: picture-alliance/dpa/Yonhap)
Bild: picture-alliance/dpa/Yonhap

Deutsche Welle: Nordkorea habe seine Grenztruppen in Gefechtsbereitschaft versetzt, meldet die staatliche Agentur KCNA. Was bedeutet das konkret für die angespannte Situation auf der koreanischen Halbinsel?

Rüdiger Frank: Das bedeutet, dass wir wieder einmal in einer Phase der Eskalation sind, die wir jetzt lange Zeit nicht hatten. Seit 2013 war es vergleichsweise ruhig, und jetzt sind wir leider wieder in dem alten Spiel gefangen, von dem man nie weiß, wie weit es gehen wird.

Es ist nicht das erste Mal, dass Nordkorea die Gefechtsbereitschaft seiner Truppen anordnet. Kann man absehen, wie groß die Gefahr ist, dass es tatsächlich zu einer größeren militärischen Eskalation kommen könnte, nachdem es schon am Donnerstag gegenseitigen Artilleriebeschuss an der Grenze gab?

Das kann man aus zwei Gründen leider nicht. Erstens haben wir es in Nordkorea mit einem Führer zu tun, der im Augenblick offensichtlich immer noch dabei ist, seine Macht zu konsolidieren, das zeigen die vielen "personellen Veränderungen", um es höflich auszudrücken, denn es geht ja eigentlich darum, dass Leute verschwinden. Wenn es stimmt, dass das Ausdruck dessen ist, dass er sich seiner Macht noch nicht ganz sicher ist, dann wäre das gewissermaßen ein Klassiker: Dass er durch solche Aktionen versucht, von innenpolitischen Problemen abzulenken. Und da weiß man nie, wie weit das geht.

Rüdiger Frank (Foto: privat)
Korea-Experte Rüdiger Frank lehrt am Institut für Ostasien-Wissenschaften der Uni WienBild: Privat

Und selbst wenn die Situation in Nordkorea stabil wäre, kann die Lage an einer so hochgerüsteten Grenze schnell eskalieren, wenn die beiden Seiten beginnen, mit Kugeln aufeinander zu schießen. Also ein mögliches Unfallszenario, durch das die Sache auch ungewollt außer Kontrolle geraten kann. Deswegen schätze ich die Situation als sehr ernst ein – verbunden allerdings mit der Hoffnung, dass es sich wie in den vergangenen Jahren auch letztlich doch in Wohlgefallen auflöst.

Ausgelöst wurde die aktuelle Krise durch eine Landminenexplosion Anfang August, für die Südkorea den Norden verantwortlich macht. Seoul hat daraufhin eine Lautsprecher-Aktion an der Grenze begonnen. So etwas gab es zuvor elf Jahre nicht mehr. Der Norden hat dem Süden jetzt ein Ultimatum gestellt: Wenn die Beschallung durch Lautsprecheransagen nicht innerhalb von 48 Stunden aufhöre, müsse mit militärischen Aktionen gerechnet werden. Der Süden hat das prompt zurückgewiesen. Wie beurteilen Sie die Haltung Seouls?

Wenn man riesige Lautsprecherwände aufstellt und damit die Gegenseite beschallt, dann ist das zweifellos eine Provokation. Daran gibt es keinen Zweifel. Seoul ist in der unangenehmen Situation, dass man langsam aber sicher gegenüber der eigenen Bevölkerung ein bisschen wie ein zahnloser Tiger erscheint. Und die Regierung versucht natürlich jetzt, Stärke zu demonstrieren. Und das wird – das wissen wir – bei Nordkorea die entsprechende Gegenreaktion auslösen.

Man kann davon ausgehen, dass zunächst auf die Lautsprecherwände geschossen wird, weil Nordkorea sich ja gegen diese Lautsprecher ausgesprochen hat. Dementsprechend wird Seoul irgendwo zurückschießen müssen, ich weiß natürlich nicht, was man sich da jetzt als Ziele ausgesucht hat. So könnte schlimmstenfalls eins das andere ergeben.

Sowohl Nord- als auch Südkorea stehen unter innenpolitischem Druck und projezieren das auf die außenpolitische oder auf die innerkoreanische Ebene. Das ist das eigentliche Problem: Wenn man mit einem Ultimatum oder mit roten Linien arbeitet, dann limitiert man die eigenen Optionen und ist dann quasi zum Handeln gezwungen, wenn der andere sich dafür entscheidet, das Ultimatum ablaufen zu lassen oder die rote Linie zu überschreiten. Es ist grundsätzlich kein sehr kluges Verhalten, solche Wenn-Dann-Aussagen zu treffen, weil man dann als Regierung irgendwann in einer Art Handlungspflicht steht.

Inwieweit ist das Ausland jetzt in der Pflicht?

Ich sehe das Ausland ganz eindeutig in der Pflicht. Vor allem diejenigen, die für sich in Anspruch nehmen, regionale Führungsmächte zu sein: also China und die Vereinigten Staaten. Sie müssten etwas tun, denn die beiden Koreas sind meiner Ansicht nach nicht in der Lage, dieses Problem auf friedliche Weise zu lösen.

Das Ganze hat ja begonnen mit den schweren Verletzungen von zwei südkoreanischen Grenzposten, die auf Minen getreten sind, von denen wiederum unterstellt wurde, sie wären neu von Nordkorea verlegt worden und keine Überbleibsel aus der Zeit des Korea-Krieges. Das wäre natürlich auch schon ein schwerer Angriff gegen Südkorea. Darauf hat man sich entschlossen, die Lautsprecherwände aufzustellen. Aber irgendwann weiß niemand mehr, wie es überhaupt angefangen hat – und keiner kommt mehr heraus aus der Spirale. Deshalb nochmal ganz klar: Ja, die regionalen Führungsmächte sind hier aufgefordert, einzugreifen.

Rüdiger Frank ist Professor für Ostasien-Wissenschaften an der Uni Wien. Außerdem arbeitet er als außerplanmäßiger Professor an der südkoreanischen Korea University sowie an der University of North Korean Studies (Kyungnam University) in Seoul. 2014 erschien sein Buch: "Nordkorea. Innenansichten eines totalen Staates."