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Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

11. Oktober 2014

Eine Kasse, die nicht bewacht wird? Was passiert, wenn wir nicht mehr das schlechteste von anderen Menschen anzunehmen? Gerhard Richter beschreibt für die evangelische Kirche eine solche Erfahrung.

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Bild: Spectral-Design/Fotolia

„Die Kasse des Vertrauens“

„Opa, schau mal, was gibt es denn hier?“ Mein Enkel zog mich zu einem Stand in einer Garageneinfahrt. Auf einem Tisch lagen Puppen, eine Verpackung Bausteine, verschiedene Brettspiele. Die Seiten waren dekoriert mit bunten Tüchern. Auf dem Boden davor stand ein Schaukelpferd. Zuerst hatte ich gedacht da will jemand umziehen.

Aber dann sah ich auf der Seite einen Karton. Der war angemalt, verklebt und hatte oben einen Schlitz. Daneben handgeschrieben der Hinweis: „Penge her“. Ein Pfeil wies auf den Karton. „Penge“ hatte ich schon gelernt. Das ist das dänische Wort für Geld. Und „her“ heißt dann wohl „hier“. In den Kasten sollte also Geld. Langsam dämmerte es mir. Das war eine Kasse des Vertrauens. Weit und breit war niemand zu sehen! Ist das nicht zu unsicher?

Ich stelle mir das in unserer kleinen Stadt vor. Als erstes wäre das Geld weg. Und für die Spielsachen würden sich nach und nach auch Abnehmer finden. Ich sehe doch, was los ist, wenn der Sperrmüll auf der Straße steht. Was brauchbar ist, ist ganz schnell verschwunden. Also bei uns zu Hause wäre ich skeptisch mit der Kasse des Vertrauens.

Misstrauen überall

Misstrauen prägt sowieso viele Bereiche unseres Alltags. Beim Einkaufen zum Beispiel. Die Skandale der letzten Jahre haben uns geprägt. Ich schaue jedenfalls lieber zweimal hin, wenn ich etwas kaufe. Am liebsten nehme ich nur die Marken, die ich kenne. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

Das ist auch auf der Arbeit so. Da heißt es Qualitätsmanagement. Es ist jedoch die Kontrolle der Arbeit auf einem hohen bürokratischen Niveau. Selbst in den persönlichen Beziehungen ist Vertrauen ein Luxusgut geworden. Einfach jemandem etwas anvertrauen mit der Erwartung, dass man es unbeschadet zurück bekommt? Da gibt es aber ganz wenige, denen ich das zutraue.

So sieht unser Alltag aus. Ganz zu schweigen von den Überwachungskameras in unseren Städten, der Vorratsdatenspeicherung bei den Telefonanbietern und dem NSA-Skandal, gegen den auch die Kanzlerin nichts tun wird. Überall ahne ich im Hintergrund den Satz: „Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser.“ Aber wer kontrolliert wird, fühlt sich gegängelt. Im schlimmsten Fall wächst die Wut im Komplott mit der Angst.

„Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses“

Aber mein Enkel hat das Gegenbeispiel gefunden. Die Kasse des Vertrauens am Straßenrand. Nachdem wir einmal aufmerksam geworden sind, fallen uns viele andere solcher Stände auf: Ein Bauer verkauft Kartoffeln, Gurken und Zwiebeln auf diese Weise. Jemand anderes bietet selbst gestickte und gestrickte Handarbeiten an. Nie ist irgendwo ein Mensch zu sehen. Bestenfalls der Hinweis auf eine Klingel, falls man Fragen hat. Und eine Box mit einem Schlitz und den Worten: „Penge her.“ war immer da.

Niemand klaut die Kartoffeln. Keiner maust das Geld. Ich merke, dass mir das gut tut. Es verleiht mir Geborgenheit. Ich fühle mich sicher. Jetzt begreife ich, dass der Satz Sinn macht, wenn man ihn umdreht: „Kontrolle ist gut, aber Vertrauen ist besser.“

Etwas pathetisch klingende Bibelverse kommen mir in den Sinn: „Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt.“ zum Beispiel. Und da kann man dann auch weiter lesen: „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses.“ Das wäre schön, wenn das allen gleich wichtig wäre. Aber mit solchen biblischen Hoffnungen, bin ich wohl etwas weltfremd. Auch die Dänen leben nicht ohne Konflikte und Streitereien.

Ich habe aber Lust bekommen, das doch wieder zu versuchen. Vertrauen wagen, auch gegen den gesunden Menschenverstand. Was ist daran eigentlich gesund, wenn keiner dem anderen traut. Eigentlich ist das krank. Das muss ja nicht so bleiben, wie das Beispiel aus Dänemark zeigt.

Pfarrer Gerhard Richter
Pfarrer Gerhard RichterBild: GEP

Zum Autor:

Gerhard Richter(Jahrgang 1957) ist seit November 2004 Gemeindepfarrer im Dörfchen Bibra im Süden Thüringens, das zur Gemeinde Grabfeld gehört. 2011 wurde er zum 2. Stellvertreter der Superintendentin des Kirchenkreises Meiningen gewählt. 1997 entsandte ihn das Evangelisch-Lutherische Missionswerk Leipzig für sieben Jahre in den Distrikt Nordmassai der Arusha-Diözese in der Evangelisch Lutherischen Kirche in Tansania als Missionar. Gerhard Richter hat zwei Söhne und eine Tochter, die mittlerweile schon das dritte Enkelkind geboren hat.