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Kontinuität und neue Akzente in der deutschen Außenpolitik

Nina Werkhäuser, Berlin18. November 2005

Der neue Koalitionsvertrag ist besiegelt. Was bringt die Koalition aus SPD und Union unter Führung von Angela Merkel für die Nachbarn in Europa und der Welt?

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Unklares Vorgehen beim Thema TürkeiBild: dpa - Bildfunk

In der Außenpolitik setzt die große Koalition auf Kontinuität, überrascht aber auch mit einigen ungewohnten Formulierungen, die offenbar das Resultat von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien sind. "Privilegiertes Verhältnis" steht da plötzlich im Koalitionsvertrag an der Stelle, wo es um die Türkei und die EU geht. Bisher forderte die CDU immer eine "Privilegierte Partnerschaft" der EU mit der Türkei, und die SPD war ohnehin für eine klare Beitrittsperspektive.

Verhältnis oder Partnerschaft?

Was steckt hinter dieser neuen Diktion? Die künftige Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, redet sich heraus: "Mit der Frage, wie sich das 'Privilegierte Verhältnis' zur 'Privilegierten Partnerschaft' verhält, in einem Fall, der in dieser Legislaturperiode sowieso nicht eintreten wird, braucht man sich, glaube ich, jetzt nicht näher zu befassen." Denn die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei haben im Oktober begonnen und werden wahrscheinlich länger dauern, als die große Koalition Bestand haben wird.

Die CDU hat außerdem den Hinweis auf die unbedingt zu berücksichtigende Aufnahmefähigkeit der EU ins Regierungsprogramm hineinschreiben lassen: "Für die Türkei ist doch folgende Botschaft wichtig: Dass wir in jedem Fall eine ganz enge Anbindung der Türkei wollen, und dass jetzt die Verhandlungen geführt werden. Und dann müssen wir das in aller Freundschaft besprechen, was das Ergebnis sein wird", sagt dazu die designierte Kanzlerin.

Spuren des Irak-Krieges

In aller Freundschaft soll auch das transatlantische Verhältnis gestaltet werden, wobei der Koalitionsvertrag ausdrücklich feststellt: "Das schließt unterschiedliche Auffassungen nicht aus, mit denen im partnerschaftlichen Dialog und im Geist der Freundschaft umgegangen werden muss." Hier sind die Lehren aus dem Streit über den Irak-Krieg eingeflossen, die der künftige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) als bisheriger Kanzleramtsminister aus der Nähe mitbekommen hat. "Spuren hat die Auseinandersetzung über den Irak-Krieg natürlich hinterlassen, das wissen wir auf beiden Seiten des Atlantiks, deshalb arbeiten wir daran. Eine der Fragen, die wir miteinander zu erörtern haben werden: Wo findet der zentrale Dialog über die transatlantische Politik statt? Dazu gibt es Vorschläge: Die Wiederbelebung der NATO und ihre Rolle als Ort des transatlantischen Dialogs. Ich sehe im Augenblick nicht, dass dazu Rezepte auf der anderen Seite des Atlantiks oder bei uns in Europa bestehen."

Schwieriges Verhältnis zu Polen

In Europa baut Deutschland wie bisher auf die deutsch-französische Freundschaft und die guten Kontakte zu Russland. Das soll aber nicht dazu führen, dass die kleinen Nachbarländer sich übergangen fühlen, findet die CDU. Die SPD kann diese Defizite zwar nicht erkennen, nickt aber friedfertig zu Angela Merkels Anliegen. Eine Baustelle der schwarz-roten Außenpolitik wird das Verhältnis zu Polen sein. Uneins sind die Koalitionspartner über das von der CDU favorisierte "Zentrum gegen Vertreibungen" in Berlin, das für die Polen ein rotes Tuch ist. Weil die SPD das Zentrum ablehnt, wird es im Koalitionsvertrag auch nicht direkt erwähnt. Dort heißt es lediglich, dass in Berlin "ein sichtbares Zeichen gesetzt werden soll", um an "das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern".

Frank-Walter Steinmeier, seinerseits irritiert über antideutsche Töne im polnischen Wahlkampf, setzt auf eine enge Zusammenarbeit mit seinem Amtskollegen in Warschau: "Wir sind uns beide sehr bewusst, dass das ein Verhältnis ist, in dem Irritationen bestehen. Darum glaube ich, kann die Außenpolitik behilflich sein, hier Irritationen abzubauen und das deutsch-polnische Verhältnis, das ein gutes Verhältnis ist und war, wieder in den alten Zustand zurückzubringen."

Sitz im Sicherheitsrat

In den meisten Feldern der Außenpolitik greift die große Koalition auf Bewährtes zurück und setzt die bisherige Linie fort, sei es in der Europapolitik, wo der scheintote Verfassungsvertrag wieder belebt werden soll, oder in der UN-Politik, wo ein ständiger deutscher Sitz im Sicherheitsrat ebenso Erwähnung findet wie der zumindest in der Theorie bevorzugte europäische Sitz - so war es schon bei Rot-Grün.

Das gilt grundsätzlich auch für die Sicherheitspolitik, wo aber einige neue Akzente gesetzt werden: Zwar hält die große Koalition an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr fest, will diese aber "stets von politischen Konzepten flankiert" wissen. Die Landesverteidigung wird als "verfassungsgemäßer Kernauftrag" der Bundeswehr besonders hervorgehoben - hier ist deutlich die Handschrift der CDU zu erkennen. Die Wehrpflicht bleibt, und was sonst noch bleibt, soll in einem "Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands" stehen, das die Bundesregierung bis Ende 2006 erarbeiten will.