1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kongolesische Lektionen

Reinhold Meyer31. Mai 2003

Seit Wochen schaut die Welt hilflos auf die Massaker im Osten des Kongos. Nur eine robust ausgestattete UN-Mission kann etwas bewirken.

https://p.dw.com/p/3gkU
Kindersoldat im KongoBild: AP

Nach dem Truppeneinmarsch der Nachbarländer Ruanda und Uganda im Jahr 1998 in den Osten Kongos sind die blutigen Fehden zwischen verschiedenen Volksgruppen dieses Landes nie abgeebbt. Experten schätzen, dass zwischen 3,1 und 4,7 Millionen Menschen aufgrund der Bürgerkriege umgekommen sind - die meisten von ihnen Zivilisten, die auf der Flucht an Hunger und Krankheit gestorben sind.

Seit Wochen nun schaut die Weltöffentlichkeit hilflos zu, wie sich Milizen der Volksgruppen der Hema und der Lendu in der Stadt Buni in der ost-kongolesischen Provinz Ituri blutige Gefechte liefern. Seit dem 4. Mai haben UN-Mitarbeiter zwischen 300 und 350 Leichname entdeckt. Bislang haben weder die internationalen Organisationen, noch einzelne westliche oder afrikanische Nachbarländer, von der kongolesischen Regierung in Kinshasa ganz zu schweigen, einen Plan zur Beendigung der Gewaltorgien.

Geopolitik und Bodenschätze

Die Demokratische Republik Kongo ist das zentrale Bindeglied für das politische Gleichgewicht eines großen Teils Afrikas. Es ist diese geopolitische Bedeutung, die den einstigen berüchtigten Diktator Mobutu Sese Seko zum Nutznießer des Kalten Krieges zwischen West und Ost werden ließ. Es sind auch diese geopolitische Lage sowie die vorhandenen Bodenschätze, die bis heute dazu führen, dass von außen immer wieder versucht wird, die Entwicklung in der Demokratischen Republik Kongo gemäß den jeweiligen eigenen Interessen zu beeinflussen.

Europa hat es in den letzten Jahren versäumt, sich politisch mit Afrika zu beschäftigen und sich zu sehr auf humanitäre Aktionen konzentriert. Das Schlagwort der humanitären Intervention hat oft den falschen Eindruck erweckt, als ob die afrikanischen Konflikte mit den Instrumenten der humanitären Hilfe beendet werden könnten. Dass dies nicht der Fall sein kann, haben die jüngsten Ereignisse in der Demokratischen Republik Kongo klar gelehrt.

Der schwindende Einfluss und sogar die Zurückweisung Frankreichs, der damit einhergehende reduzierte Einfluss der frankophonen afrikanischen Staaten, die zunehmend stärkere Stellung der Vereinigten Staaten und die bedeutendere politische Vermittlerrolle Südafrikas in der Region verteilen die politischen Gewichte neu.

Tragödie als Herausforderung

Die UNO, die internationale Gemeinschaft, aber vor allem Afrika sind in der Pflicht, eine friedliche Lösung für die Demokratische Republik Kongo zu finden. Für sie ist die dort stattfindende Tragödie die größte afrikanische Herausforderung, Konfliktlösungen zu finden und durchzusetzen, Frieden zu bewahren und Auseinandersetzungen vorzubeugen.

Die Vorgänge im Kongo zeigen, dass es sehr schwierig ist, die internationale Gemeinschaft schnell zu friedenserhaltenden Einsätzen wie UNO-Friedensmissionen zu mobilisieren. Die Gründe dafür sind unterschiedliche Interessenlagen, innenpolitische Vorbehalte und finanzielle Zwänge. Zugleich folgt das Gesetz des Handelns selten afrikanischen Vorstellungen. Beginn, Ausführung und die Beendigung von internationalen Einsätzen sind oft durch Interessen außerhalb Afrikas bedingt. Afrikanische Konflikte werden oft nur dann von der Weltöffentlichkeit wahrgenommen, wenn Europäer oder Amerikaner direkt bedroht sind.

Mehr als ein Stammeskonflikt

Die Demokratische Republik Kongo ist ein weiteres tragisches Beispiel dafür, dass ethnische Manipulation, eine durch Flüchtlingsströme destabilisierte Region, Unmengen frei verfügbarer Waffen sowie regionale Machtinteressen die brisanten Zutaten eines anhaltend explosiven Gemischs bleiben.

Tribalismus oder Stammeskonflikte sind die am meisten benutzten Schlagworte zur Kennzeichnung politischer Konflikte in Afrika geworden. Dahinter verbirgt sich aber eine spezifische Form des Konkurrenzkampfes von Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen um die Verteilung von Herrschaftspositionen und Ressourcen. Ethnische Loyalitäten werden dabei bewusst politisiert und als Manipulationsinstrument missbraucht.

Ethnische Konflikte sind also eher die Wirkung als die eigentliche Ursache von Spannungen und Konflikten. Die eigentlichen Gründe sind politische, wirtschaftliche und soziale Faktoren. Es geht um egoistische Interessen, es geht um die Macht- und Einflussfrage. Macht bedeutet Zugang zu Bodenschätzen, Schwächung des Gegners und Stärkung der jeweils eigenen Position.

Der einzige Schlüssel

Die Demokratische Republik Kongo zeigt schließlich, dass Programme zur Entwaffnung der Milizenchefs und ihrer Anhänger, das Austrocknen der Quellen für Waffenlieferungen sowie ein klares Mandat und die dafür notwendige personelle und militärische Ausstattung einer UNO-Friedensmission der einzige Schlüssel zu einer Friedenschance bleibt. Und dabei ist Eile geboten - wenn es nicht noch viel, viel mehr Tote geben soll.