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Kommunaler Ausverkauf - schnell bereut

9. April 2009

Vor einigen Jahren unterzeichneten viele deutsche Kommunen so genannte "Cross-Border-Lease"-Geschäfte mit US-Investoren. Jetzt versuchen sie, aus den Verträgen herauszukommen. Doch das ist gar nicht so leicht.

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Auch die Dreesdener Straßenbahn fährt de facto unter amerikanischer FlaggeBild: picture-alliance / ZB

Was haben deutsche Abwassersysteme, Straßenbahnen und Schulen mit der Finanzkrise zu tun? Auf den ersten Blick ist die Verbindung nicht zu erkennen. Doch es gibt sie: Vor einigen Jahren unterzeichneten viele deutsche Kommunen sogenannte "Cross-Border-Lease"-Geschäfte mit US-Investoren. Jetzt versuchen die ersten Städte, aus den Verträgen herauszukommen. Doch das ist gar nicht so leicht.

Das Prinzip schien glasklar: Düsseldorf vermietete zum Beispiel sein Straßenbahnnetz und seine Kanalisation an einen amerikanischen Investor und mietete alles sofort von ihm zurück. Auch der Vorteil schien klar: Die Stadt blieb weiter Eigentümerin ihrer Anlagen, und in ihre leere Kasse wurde Geld gespült: Der Investor zahlte nämlich einen kleinen Teil – vier bis sechs Prozent – der Leasingkosten direkt an die Stadt. Auf den ersten Blick schien sich tatsächlich ansonsten nichts zu ändern. Die Kommunen reagierten begeistert. Rund 180 solcher Cross-Border-Leasing-Verträge im Wert von insgesamt 80 Milliarden Euro wurden damals in Deutschland abgeschlossen.

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So wie den Bürgermeistern aus dem Landkreis Jerichower Land steht vielen Kommunen das Wasser bis zum HalsBild: dpa

"Wir haben einen Barwertvorteil bekommen, und zum anderen war das damals auch eine Gelegenheit, um sich bekannter zu machen. Es wurde damals immer sehr positiv berichtet, wenn eine Stadt ein solches Geschäft abgeschlossen hat", erinnert sich Helmut Rattenhuber, Stadtkämmerer in Düsseldorf.

So machte 2002 auch die Stadt Bochum Schlagzeilen. Sie wollte ihr Kanalnetz an einen US-Investor geben und zurückleasen. Doch die Bochumer Bürger waren dagegen, dass mit öffentlichem Eigentum, für das sie Gebühren zahlten, Geschäfte gemacht werden sollten. "Einnahmen gehören die in den Gebührenhaushalt Abwasser. Sie müssen sich Gebühren senkend auswirken und eignen sich nicht, um Haushaltslöcher zu stopfen", argumentiert Aichard Hoffmann vom Mieterverein Bochum.

Knapp 14.000 Bochumer unterschrieben ein Bürgerbegehren, um das Vorhaben zu stoppen. Während andere Kommunen die Projekte so erfolgreich verhinderten, ignorierte die Stadt Bochum den Widerstand ihrer Bürger. Die damalige Kämmerin Ottilie Scholz flog in die USA, um den Vertrag zu unterzeichnen. Vertreter anderer Kommunen machten sich auch auf den Weg nach New York.

Keine Wohltäter

Banken-Hochhäuser
Die Banken waren nur am Eigenhandel interessiertBild: DW-TV

Allerdings: die US-Investoren – in der Mehrheit amerikanische Banken – waren keine Wohltäter, die strauchelnde Kommunen in Übersee unter die Arme greifen wollten. Durch die Länge der Laufzeit der Mietverträge – im Regelfall 30 Jahre – wurden die Banken nach amerikanischem Recht Eigentümer des deutschen Kanalnetzes oder der Straßenbahn. So konnten sie das neu erworbene Eigentum steuerlich abschreiben. Nach deutschem Recht blieb die deutsche Kommune Eigentümerin und schrieb das Kanalnetz weiterhin in Deutschland von der Steuer ab.

2004 hatte der amerikanische Kongress von diesem Trick genug. Er legte fest, dass es für Cross-Border-Leasing-Verträge, die nach 2004 abgeschlossen wurden, keine Steuervorteile mehr geben sollte.

Aber: "Im Grunde ging es bei Cross-Border-Leasing-Verträgen ohnehin immer nur am Rande um den Steuervorteil", meint der Finanzexperte Werner Rügemer, der seit zehn Jahren diese Art von Geschäften beobachtet. In Wirklichkeit seien die amerikanischen Banken an den hohen Geldsummen interessiert gewesen, die durch die Deals bewegt wurden. In der Finanzwelt spricht man von "strukturierten Finanzprodukten". Denn: Meistens sind neben der Kommune insgesamt fünf Banken an dem Cross-Border-Leasing-Geschäft beteiligt. Mit dem Vertrag setzt sich für diese ein lukratives Geldkarussell in Bewegung.

"Die beteiligten Banken geben sich gegenseitig Kredite, zahlen gegenseitig Zinsen aus, ohne dass es irgendeine Realinvestition gibt. Die Investoren und noch weniger die Banken haben sich jemals um die Kanalisation, das Schienennetz oder das Krankenhaus gekümmert. Davon wollten sie überhaupt nichts wissen. Sie haben einen reinen Inter-Banken-Deal abgeschlossen. Solche Deals haben auch zur Finanzkrise geführt", ist sich Finanzexperte Werner Rügemer sicher.

Rette sich wer kann

Gebäude der AIG in New York (AP Photo/Mark Lennihan)
An deutschen Kommunen-Deals beteiligt: Die amerikanische AIGBild: AP

Und diese traf die Kommunen hart. Viele hatten ihre Cross-Border-Leasing-Verträge durch die American International Group, AIG, absichern lassen. 2008 musste der Versicherungsriese einen Verlust von 100 Milliarden Dollar hinnehmen. AIG verlor daraufhin sein “Triple A-Rating”. Das bedeutete für die deutschen Kommunen, dass die Versicherung ihrer Cross-Border-Geschäfte nicht mehr so viel wert war wie vorher. Die Kommunen mussten sich neue Versicherungsquellen suchen. Bochum zum Beispiel musste Ende 2008 amerikanische Staatsanleihen in Höhe von 90 Millionen Euro kaufen.

Jetzt steigt Bochum aus dem Cross-Border-Geschäft aus. Der amerikanische Investor hat bereits zugestimmt. Aber damit sind die Verträge noch nicht beendet, denn die Verpflichtungen gegenüber den anderen Vertragspartnern laufen weiter. Jetzt wird hinter geschlossenen Türen auf vielen Ebenen verhandelt.

Viele der deutschen Banken, die durch die Finanzkrise ins Strudeln geraten sind, wie die staatliche KfW-Bankengruppe, waren in Cross-Border-Leasing-Verträge verstrickt. Und so kann es passieren, dass die Schulden, die durch diese Verträge entstanden sind, durch die Bankenrettungspakete der Bundesregierung aufgefangen werden. Mit anderen Worten: Mit Steuergeldern.

Auch wenn die Kommunen – wie Bochum – jetzt schnellstmöglich aus den Verträgen herauswollen, halten sie an einer Sache fest: Unter damaligem Kenntnisstand war es richtig, die Cross-Border-Leasing-Verträge einzugehen. Für sie war es wichtig, die Haushaltslöcher stopfen zu können. Und: Die Finanzkrise habe niemand vorhersehen können. Finanzminister Peer Steinbrück sieht die Sache anders. Er sagte, Cross-Border-Leasing-Verträge hätten niemals unterschrieben werden dürfen. Die Risiken seien einfach zu hoch gewesen.

Autor: Nina Haase

Redaktion: Rolf Wenkel