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Kommentar: Zwischen Erwartungsdruck und Angst

Baha Güngör14. Oktober 2014

Die Türkei steht im Kreuzfeuer internationaler Kritik. Dem Kampf gegen den IS schaut das NATO-Land einfach zu, anstatt die Kurden zu unterstützen. Die Türkei gefährdet sich damit selbst, fürchtet Baha Güngör.

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Panzer auf der türkischen Seite der Grenze zu Syrien in der Nähe von Kobane (Foto: Getty Images)
Kampf um Kobane: Sicherheitsvorkehrungen auf der türkischen Seite der GrenzeBild: Getty Images

Die türkischen Panzer entlang der Grenze zu Syrien stehen aneinandergereiht und verfolgen aus sicherer Distanz die Kämpfe auf dem Territorium des Nachbarlandes. Seit dem Großangriff der Terroristen des "Islamischen Staats" (IS) auf die Kurdenhochburg Kobane wird von der Türkei erwartet, dass sie über die Grenze marschiert und mit ihren Bodentruppen im Alleingang der IS-Offensive ein Ende setzt.

Gute Gründe gegen einen türkischen Einmarsch

Über die Folgen einer solchen Intervention im Nachbarland wird von den Kritikern der gegenwärtigen türkischen Politik nicht vertieft nachgedacht. Soll sich die Türkei als Besatzungsmacht in Syrien präsentieren? Welche Folgen würde eine Gegenoffensive der Terrormilizen oder gar des syrischen Diktators Baschar al-Assad zum Schutz seines eigenen Territoriums haben? Würden Syriens Unterstützer Russland und Iran nicht versuchen, Assad zu helfen? Und wer hätte die Folgen zu verantworten, wenn sich in der Region ein Land nach dem anderen - einschließlich Israel - einem Mehrfrontenkrieg ausgesetzt sähe?

Dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan kann kaum widersprochen werden, wenn er einen Alleingang ablehnt und ein gemeinsam abgestimmtes Vorgehen der Anti-Terror-Allianz unter Führung der USA fordert. Doch versteckt Erdogan hinter dieser Forderung auch sein Ziel, neben der Terrormiliz IS zugleich den syrischen Despoten Assad zu stürzen. Auf diese Forderung zu verzichten, ist für Erdogan ausgeschlossen, da er sich gegen seinen früheren Freund Assad bereits viel zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Aber dieses Ziel will gegenwärtig keiner der Verbündeten mitgehen. Sie alle konzentrieren sich allein auf den IS.

Baha Güngör, Leiter der Türkischen Redaktion der DW (Foto: DW)
Baha Güngör leitet die Türkische Redaktion der DWBild: DW

Türkei sollte Militärbasen zur Verfügung stellen

Und ein zweiter Punkt macht die türkische Politik so problematisch: Ankaras Angst vor den Kurden. Aus Sorge, die Kurden aus der Türkei und aus Syrien könnten sich nach der Befreiung Kobanes zu einer anti-türkischen Koalition zusammenschließen, erschwert die Türkei den Kurden derzeit den Grenzübertritt und schwächt somit die Verteidiger der kurdischen Stadt massiv.

Der internationale Erwartungsdruck hinsichtlich des Kampfes gegen den IS einerseits und die Angst vor einem Wiederaufflammen des Kampfes der militanten türkischen Kurden gegen Ankara andererseits lähmen die türkische Staatsführung seit Tagen. Sie lässt reihenweise Gelegenheiten aus, sich - wie ursprünglich geplant - gegenüber den Kurden zu öffnen und den Frieden mit ihnen zu gestalten. Stattdessen bombardiert Ankara erstmals seit zwei Jahren wieder PKK-Stellungen. Ausgerechnet jetzt. Damit droht nun 30 Jahre nach dem Beginn des Kampfes der auch in Deutschland als Terrororganisation eingestuften PKK für einen unabhängigen kurdischen Staat, nach dem Tod von mehr als 40.000 Menschen und der Vertreibung von Millionen Zivilisten aus ihren Siedlungsgebieten, ein neuer Ausbruch von separatistischer Gewalt und militärischer Gegengewalt in der Türkei.

Solange die Türkei mehr mit sich selbst und ihrem internen Kurdenproblem beschäftigt ist, als sich in die Reihen der Anti-Terror-Allianz einzufügen, wird das Chaos jeden Tag noch unübersichtlicher. Deshalb wäre die Türkei gut beraten, wenigstens einen kleinen Schritt zu tun und die Militärbasen auf ihrem Staatsgebiet endlich der Anti-Terror-Allianz zur Verfügung zu stellen - damit der IS-Terror wirkungsvoller aus der Luft bekämpft werden kann. Die Türkei ist seit Jahrzehnten stolz darauf, als verlässlicher Partner des westlichen Verteidigungsbündnisses zu gelten. Dieser Statuts steht jetzt - 62 Jahre nach dem türkischen NATO-Beitritt - auf dem Spiel!