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Schuss in den Ofen

Rolf Wenkel9. Oktober 2008

Die gute gemeinte Zinssenkung ging als Signal nach hinten los. Ein Kommentar von Rolf Wenkel.

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Bild: DW

Oh weh, o weh: Wenn die wichtigsten Notenbanken der Welt zu einem Mittel greifen, das sie zuletzt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 benutzt haben, dann muss sich das globale Finanzsystem wirklich am Abgrund befinden. Da verkaufe ich lieber schnell meine Aktien. Diese Schlussfolgerung haben Hunderttausende von Anlegern rund um den Globus am Mittwoch (8.10.) gezogen, als die Notenbanken zeitgleich und völlig überraschend die Zinsen senkten. Was als positives und ermutigendes Signal gemeint war, ging nach hinten los: Der Sinkflug der Aktien wurde nur kurzzeitig gestoppt, am Ende des Tages herrschten wieder tiefrote Zahlen vor.

Grafik für Kommentar oder Fernschreiber-Kolumne, August 2004

So schoss der Deutsche Aktienindex nur kurz um 300 Punkte nach oben, um am Ende mit einem Minus von knapp sechs Prozent nur hauchdünn über der Marke von 5.000 Punkten abzuschließen. Und auch an der New Yorker Börse drehte der Dow Jones Index nach einem anfänglichen Plus am Ende doch wieder zwei Prozent ins Minus.

Dabei gilt nach wie vor: Wenn Notenbanken die Leitzinsen senken, können sich die Geschäftsbanken gegen Hinterlegung von Wertpapieren zu günstigeren Konditionen Geld besorgen. Damit werden in der Regel auch Kredite für Unternehmen und Verbrauche billiger. Eine Leitzinssenkung könnte also mithelfen, die Wirtschaft anzukurbeln oder zumindest eine Rezession abzumildern. Das Dumme ist nur, dass aller Erfahrung nach jede Änderung an der Zinsschraube erst mit einem Abstand von rund sechs Monaten Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat, sprich auf das Konsum- und Investitionsverhalten der Unternehmen und der Verbraucher. Und wer weiß jetzt schon, was in einem halben Jahr ist und wie viele Banken da inzwischen noch über die Wupper (in die Pleite, d. Red.) gegangen sind?

Auf der anderen Seite erhöht eine Leitzinssenkung natürlich die Inflationsgefahr. Die Rohstoff-, Energie- und Lebensmittelpreise sind gestiegen, die Inflation in Euroland liegt bei vier Prozent, eigentlich kann sich die Europäische Zentralbank einen solchen Schritt gar nicht leisten, aber sie hat sich trotzdem an dieser Aktion beteiligt, weil sie zeigen will: Seht her, wir tun was, und zwar gemeinsam, weltweit.

Doch bewirken kann dieses Signal nicht viel. Denn wenn man ehrlich ist, muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Finanzkrise in der Realwirtschaft schon längst angekommen ist - auch in Deutschland. Der Maschinenbau, die Metall- und Elektroindustrie, sie alle verzeichnen Auftragsrückgänge, die Stahlbranche rechnet mit einem Nachfrage- und Preisverfall, für Unternehmen wird es immer schwieriger, Investitionskredite zu bekommen, die Automobilindustrie führt Kurzarbeit ein – überall hinterlässt die Finanzkrise ihre Spuren. Auch deshalb verkaufen Börsianer ihre Aktien quer durch alle Branchen – Leitzins hin oder her.

Wie enttäuscht der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, über die offensichtliche Wirkungslosigkeit seines Signals ist, zeigen seine Äußerungen im französischen Fernsehen. Dort forderte er die Akteure auf den Finanzmärkten auf, "wieder zur Besinnung zu kommen". Sie seien mit ihrem "exzessiven Pessimismus" schlecht beraten, schließlich hätten die Zentralbanken mit ihrer spektakulären Zinssenkung am Mittwoch ein "Signal der Vertrauens" gegeben. Nur hat es offensichtlich keiner verstanden.