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Politik

Wie umgehen mit der AfD?

Scholz Kay-Alexander Kommentarbild App
Kay-Alexander Scholz
19. September 2017

Ist Ab- und Ausgrenzung wirklich der einzig sinnvolle Weg? Selbstkritische Fragen nach den Ursachen des Aufstiegs der jungen Partei könnten langfristig die bessere Alternative sein, meint Kay-Alexander Scholz.

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Leerer Plenarsaal im Bundestag
Bild: picture-alliance/dpa

Während der letzten Bundestagsdebatte dieser Legislaturperiode war eines der Themen auf der Pressetribüne, wo eigentlich der Platz für demnächst vermutlich sechs Fraktionen herkommen soll? Schon jetzt ist es im Plenarsaal ziemlich eng. Zudem muss Platz für zwei neue Gänge geschaffen werden, welche die Fraktionen voneinander trennen. Sitzt die FDP dann in der Mitte? Und die AfD ganz rechts? Irgendwann machte der Scherz die Runde, dass wohl alle Parteien außer der AfD zusammenrücken werden - ohne Gang zwischen den Fraktionen. Nur um dann eine besonders große Distanz zur AfD zu haben.

Der Vorschlag gibt ziemlich gut wieder, was derzeit aus den Parteien zu hören ist. Sie warnen vor einem Zerfall politischer Kultur durch neue Rechtsextremisten im Parlament. Erste Stimmen fordern, man müsse AfD-Abgeordneten ihren Anspruch auf Sitze in den Ausschüssen verwehren. Einiges ist schon geschehen: Nur um zu verhindern, dass ein AfD-Politiker Alterspräsident werden kann, wurde die Geschäftsordnung des Bundestages verändert. Für die AfD war das natürlich Wahlkampfmunition vom Feinsten. Sie konnten über das Kartell der Altparteien schimpfen und den eigenen Opferstatus pflegen.

Gewählt ist gewählt!

Es ist höchste Zeit daran zu erinnern, dass alle Parteien und Abgeordneten Repräsentanten der Wähler und Wählerinnen sind. Keine Partei besitzt das Parlament und niemand hat das Recht, sich über andere Parteien zu erheben. Parteien können in den Bundestag hinein und auch wieder hinaus gewählt werden. Niemand besitzt ein Dauer-Abo. Alles andere wäre eine Diktatur mit Staatsparteien oder zumindest politische Oligarchie.

Kommentarfoto Kay-Alexander Scholz Hauptstadtstudio
Kay-Alexander Scholz ist Korrespondent im HauptstadtstudioBild: DW/S. Eichberg

Wer über die Grenzen Deutschlands hinaus auf Europa blickt, sieht, wie dynamisch das Parteiensystem inzwischen geworden ist. Nur ein Beispiel: In Frankreich oder Griechenland dümpeln die Sozialdemokraten, einst stolze Großparteien, inzwischen nur noch im einstelligen Prozentbereich. Auch in Deutschland atmet die Demokratie: Als die anderen Parteien den Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie nicht sehen wollten, entstanden in den 1980er-Jahren die Grünen. Als die SPD mit den Agenda-2010-Reformen ihre Kernklientel vor den Kopf stieß, machte dass die Linkspartei bundesweit stark. Als die FDP zur neoliberalen Unkenntlichkeit verkommen war, flog sie aus dem Bundestag.

AfD ist auch Ergebnis von Politikversagen

Die etablierten Parteien fahren derzeit mehrheitlich eine inhaltlich schwache Strategie gegen die AfD - nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Eigentlich aber müssten sie sich fragen, was sie in den vergangenen Jahren falsch oder gar nicht gemacht haben? So dass im Ergebnis eine neue Partei wie die AfD nun zur möglicherweise drittstärksten Kraft im Bundestag wird. Doch diese, mindestens Mit-Verantwortung weisen sie von sich - und schlagen stattdessen lieber einfach drauf. Doch die AfD-Wähler sind keine vom Teufel verführten, verirrten Seelen, die nur wieder auf den Pfad der politischen Tugend zurückgeholt werden müssen. Ihre Stimmen sind vielmehr auch Zeugnis verfehlter Politik. Viele Probleme und Sorgen der Bürger wurden übersehen.

Wer erlebt hat, mit welcher Kaltschnäuzigkeit manche Fachpolitiker über Dinge hinweggegangen sind, den wundert die Reaktion mancher Bürger nicht. Da wurden Windräder als romantische Ergänzung der Landschaft beschrieben, obwohl damit viele Grundstücksbesitzer auf dem Land quasi enteignet wurden. Weil, wer will noch einen Hof kaufen, über dem ständig ein Windrad dreht und jault? Dass Globalisierung auch Verlierer erzeugt, wurde lange Zeit totgeschwiegen - obwohl das in den USA, und zwar schon vor Trump, breit diskutiert wurde. Erinnert sei auch an die für die Demokratie schädliche Diskussion darüber, ob manche Bürger überhaupt das Recht hätten, ihre Sorgen auszudrücken.

Stolz, Würde und Coolness sind gefragt

Die AfD kommt sicher in den Bundestag und dort muss sie alle Rechte genießen, die andere Parteien auch haben. Allerdings auch alle Pflichten. Die AfD wird lernen müssen, wie mühsam Politik ist, wie viel Ausgleich und Kompromiss das verlangt. Versagt sie dabei, werden die Wähler sie dafür abstrafen. In manchen Landesparlamenten gibt es Erfahrungen mit rechtsextremen Parteien der alten Sorte oder wie Anfang der 2000er-Jahre mit Populisten in Hamburg. Sie alle sind längst wieder verschwunden.

Es könnte aber auch anders kommen - dass sich nämlich die AfD etabliert. So wie es mit den ehemaligen "langhaarigen Chaoten" der Grünen oder den "Kommunisten" der Linkspartei passiert ist. Sollte sich aber die AfD weiter radikalisieren, dann sind Verfassungsschützer und Gerichte gefragt.

Es ist höchste Zeit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Die schleichende Polarisierung - Kerngeschäft der Populisten - muss gestoppt werden. Doch da hilft kein peinliches Überreagieren und hilfloses Herumzappeln. Stattdessen sollten die Parlamentarier mit Stolz, Würde, Coolness und zusammen mit den Bürgern dieses schöne, international beliebte und wirtschaftlich starke Deutschland fit für die Zukunft machen! Und: Trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen ist es schon jetzt das beste Deutschland, das es je gab!