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Süßes Gift

Karl Zawadzky 23. August 2007

Erstmals seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 wird Deutschland das laufende Jahr mit einem Überschuss in den öffentlichen Haushalten abschließen. Karl Zawadzky kommentiert.

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Bild: DW
Karl Zawadzky

Endlich einmal eine rundum erfreuliche Nachricht: Der Bund, die Länder, Gemeinden und Sozialkassen haben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres einen Haushaltsüberschuss erwirtschaftet. Wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag in Wiesbaden mitteilte, lagen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres die Steuereinnahmen um 1,2 Milliarden Euro über den Ausgaben des Bundes, der Länder, Gemeinden und der Sozialversicherung. Während die Einnahmen um 5,6 Prozent höher lagen als im vergangenen Jahr, sind die Ausgaben nur um 0,7 Prozent gestiegen. In der ersten Hälfte 2006 war noch ein Defizit von 23 Milliarden Euro angefallen

Haushalte noch längst nicht saniert

Doch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück bricht angesichts des Erfolges nicht in Jubel aus, schließlich weiß er, dass er damit nur Begehrlichkeiten wecken würde. Recht hat er. Es gibt keinen Anlass, gleich wieder die Spendierhosen anzuziehen. Denn die öffentlichen Haushalte sind längst noch nicht saniert. Der Schuldenberg beläuft sich auf die gigantische Summe von 1500 Milliarden Euro; davon über 900 Milliarden Euro beim Bund.

Der für das gesamte Jahr zu erwartende Haushaltsüberschuss von drei Milliarden Euro ist zwar eine erkleckliche Summe, aber im Verhältnis zu der in Jahrzehnten angehäuften Staatsverschuldung gering. Denn: würde in Zukunft lediglich mit einem solchen Betrag der Schuldenberg abgetragen, dann würde das 500 Jahre dauern. Daneben läuft noch der Zinsaufwand, der sich derzeit allein beim Bund auf jährlich 40 Milliarden Euro beläuft, zum zweitgrößten Ausgabeposten im Bundeshaushalt aufgestiegen ist und bei einem weiteren Anstieg die Gestaltungsfähigkeit der Politik zu beeinträchtigen droht. Umkehr auf dem Weg in die Schuldenfalle ist seit Jahren dringend geboten. Deswegen ist die jetzt erreichte Trendwende so wichtig.

Langer und mühsamer Weg

Die Wegmarke ist erreicht, von der an die Staatsschulden nicht mehr zunehmen. Nun muss es darum gehen, den Schuldenberg abzutragen. Das wird ein langer und mühsamer Weg, aber er ist ohne Alternative. Den größten Beitrag beim Rückgang der Neuverschuldung und hoffentlich dann auch beim Abtrag en des Schuldenberges leistet die gute Konjunktur, die die Steuerquellen stärker sprudeln lässt und die Arbeitslosigkeit verringert. Dabei ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit gleich aus mehreren Gründen wichtig: Erstens muss der Finanzminister der Bundesagentur für Arbeit nicht mehr mit gigantischen Zuschüssen zur Seite springen, zweitens führt die höhere Beschäftigtenzahl zu höheren Steuereinnahmen. Und drittens führt mehr Beschäftigung zur Belebung der privaten Nachfrage, was die Konjunktur beflügelt.

Das ist alles höchst erfreulich. Doch darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Haushaltsausgleich nicht nur mit der guten Konjunktur und mit solider Finanzpolitik zu tun hat, sondern auch mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie der Versicherungssteuer. Deutschland hat zu Beginn dieses Jahres eine massive Steuererhöhung erlebt. Damit hat der Finanzminister die Einnahmen erhöht. Doch die große Aufgabe der Sanierung der Haushaltsstruktur ist keineswegs erledigt, sondern bestenfalls eingeleitet. Und was der ausgeglichene Haushalt wirklich wert ist, wird sich erst im nächsten Abschwung zeigen, wenn nämlich die konjunkturbedingten Mehreinnahmen bei den Steuern wieder wegbrechen.

Süßes Gift

Insofern verhält sich Steinbrück, indem er sich die Siegerpose verkneift, dem ungelösten Kernproblem in den öffentlichen Haushalten angemessen. Mehr als ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zu gesunden Staatsfinanzen ist nicht erreicht. Der Staat muss nicht nur den Schuldenberg abtragen, sondern darüber hinaus auch noch Reserven für konjunkturell schlechte Zeiten anlegen. Sonst droht beim nächsten Abschwung gleich wieder die Rückkehr zum hoffentlich überwundenen Schulden-Schlendrian und ein erneuter Konflikt mit dem Euro-Stabilitätspakt. Die Staatsverschuldung ist ein süßes Gift. Es ist einfach, mit geliehenem Geld die Bürger zu beglücken. Doch eine Dauerlösung ist das nicht. Vor allem: Es sind die Bürger, die über Steuern den Schuldenberg abtragen müssen.