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Wahlen stören die Macht

Ingo Mannteufel14. November 2008

Einschneidende Verfassungsänderungen sind in Russland auf Vorschlag von Präsident Medwedew geplant. Sie dienen der Absicherung der regierenden Machtelite in einer möglichen Krise. Ingo Mannteufel kommentiert.

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Bild: DW

Das Unterhaus des russischen Parlaments, die Duma, hat am Freitag (14.11.2008) in erster Lesung die Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre gebilligt. Der Vorschlag zur Verfassungsänderung wurde von 388 Abgeordneten befürwortet, 58 stimmten dagegen. Die abschließende Abstimmung nach zweiter und dritter Lesung soll in der kommenden Woche stattfinden. Einschneidende Verfassungsänderungen dienen der Absicherung der regierenden Machtelite in einer möglichen Krise.

Die Idee ist nicht neu: Bereits im letzten Jahr sprachen sich führende Anhänger des damaligen Präsidenten Wladimir Putin für eine Verlängerung der Amtszeit des russischen Staatsoberhauptes auf sechs Jahre aus. Eine derartige Verfassungsänderung ist aus demokratietheoretischer Sicht auch nicht sofort verwerflich. In Frankreich wurde lange Jahre der Präsident auf sieben Jahre gewählt. Ebenso ist eine fünfjährige Parlamentsperiode, was ebenfalls nun in Russland geplant ist, aus theoretischer Sicht kompatibel mit demokratischen Strukturen.

Nicht anti-demokratisch

Die bloße Verlängerung der Amtszeiten ist somit nicht zwangsläufig anti-demokratisch. Die unterschiedlichen Amtszeiten von Präsident und Parlament könnten dem politischen Prozess in Russland sogar gut tun. Denn seit Mitte der 1990er Jahre fanden die Parlamentswahlen immer wenige Monate vor der Wahl des Präsidenten statt. Das sorgte im politischen System Russlands dafür, dass die Wahlen für die Staatsduma immer nur als vorweggenommene Ableitung der wichtigeren Präsidentenwahl gesehen wurden.

Der zeitliche Ablauf führte so unweigerlich zu einer völligen Einflussnahme und Steuerung der Parlamentswahl durch die Präsidialadministration. Ob aber eine zeitliche Entzerrung der beiden Wahlen den Wahlprozess für die Staatsduma nun automatisch freier und autonomer machen wird, bleibt dennoch fraglich. Das von Putin geschaffene und von Dmitri Medwedew als Präsident verwaltete System der "gelenkten Demokratie" besitzt auch weiterhin ein hohes Interesse daran, die Parlamentswahlen zu dirigieren.

Hauptabsicht: Verlängerung der Amtszeit

In der Absicht, den politischen Prozess zu kontrollieren, muss daher auch weiterhin die Hauptabsicht der geplanten Verlängerung der Amtszeit des russischen Präsidenten auf sechs Jahre gesehen werden. Die regierende Machtelite verspricht sich dadurch eine Verstetigung und weitere Stabilisierung ihrer Macht, da sie sich nicht mehr alle vier, sondern erst alle sechs Jahre formal dem Volk stellen muss. Denn Präsidentenwahlen sind auch in einer "gelenkten Demokratie" instabile Phasen, deren Lenkung die gesamte Aufmerksamkeit des Machtapparates erfordern. Deutlich wurde das insbesondere in der zweiten Amtszeit Putins: Seine letzten beiden Jahre haben fast nur noch im Zeichen der Frage nach seinem Nachfolger gestanden.

Die Ausweitung der Amtszeit des russischen Präsidenten – egal, ob der Präsident für den diese Regelung erstmals gilt, nun Medwedew oder Putin heißt – dient der Machtsicherung der regierenden Kreml-Elite und der von ihr betriebenen Politik: Ähnlich wie die Sowjetführer vergangener Zeiten die langfristige Schaffung einer kommunistischen Gesellschaft vorher planen wollten, glaubt das Tandem Medwedew-Putin an eine ökonomisch-technischen Modernisierung Russlands, die mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Wahlen sind dabei aus Sicht des Kremls Hindernisse auf dem Weg zur Verwirklichung dieses Ziels. Daher sollen sie nur alle sechs statt vier Jahre stattfinden.

"Gelenkte Demokratie"

Aus dieser Sicht ist die Verlängerung der Präsidentenamtszeit eine wenig überraschende, systemlogische Veränderung im Rahmen der von Putin geschaffenen "gelenkten Demokratie". Das spannende Moment ist gegenwärtig eher in der scheinbaren Eile begründet, mit der die Verfassungsänderung durch das Parlament gepaukt wird. Die Hast hat zu weitreichenden Spekulationen geführt. Und vielleicht ist die von Medwedew erst letzte Woche vorgeschlagene Änderung wirklich Teil eines Planes, wonach Putin nach einem überraschenden Rücktritt von Medwedew bald wieder ins russische Staatsamt zurückkehren wird, um dann für zweimal sechs Jahre das Land zu regieren. Ausgeschlossen ist das nicht.

Dennoch spricht auch vieles dafür, dass die Eile in der heraufziehenden sozialen und ökonomischen Krise des nächsten Jahres begründet ist. Denn nach allen Experteneinschätzungen werden die globale Finanz- und Wirtschaftskrise sowie insbesondere die sinkenden Energiepreise die russische Wirtschaft und Gesellschaft erst im nächsten Frühjahr mit Härte treffen. Steigende Arbeitslosenzahlen und sinkende Staatsreserven werden dann die russische Führung vor Probleme stellen, die sie in den letzten acht Jahren nicht kannte. Da ist es aus Kreml-Sicht gut, wenn schon mal geklärt ist, dass nach der nächsten Präsidentenwahl – laut gegenwärtiger Planung im Jahre 2012 - das Tandem Medwedew-Putin für sechs Jahre regieren kann, also bis 2018.