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VW - gefangen im Abgasstrudel

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Henrik Böhme
18. September 2016

Vor einem Jahr wurden die Abgas-Tricksereien von Volkswagen öffentlich. Seither mühen sich die Wolfsburger um Aufklärung und darum, Vertrauen zurück zu gewinnen. Dabei steht man erst ganz am Anfang, meint Henrik Böhme.

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Bild: picture-alliance/dpa/Fredrik von Erichsen

Manchmal könnte man fast den Eindruck haben, bei Volkswagen sind sie froh über die "Dieselthematik", wie der Betrug mit gefälschten Abgaswerten in Wolfsburg verharmlosend genannt wird. Die Krise habe Volkswagen "neue Türen geöffnet", so Konzernchef Matthias Müller dieser Tage vor der Belegschaft im Stammwerk.

Das kann man zwar so sehen, aber eine Garantie, dass Europas größter Autobauer wirklich gestärkt aus der Krise hervorgehen wird, die gibt es nicht. Der Konzern ist durch den Skandal bis in seine Grundfesten erschüttert worden - ein Unternehmen, das noch vor einem Jahr vor Kraft kaum laufen konnte. Das verbohrt war in die unsinnige Vision, die Nummer Eins der Welt zu werden. Das organisiert war wie ein Zarenreich: oben ein Martin Winterkorn, unten alle anderen.

Schaut auf diese Bank!

Ein Konzern, dessen Dieselmodell Jetta TDI noch 2008 vom US-Magazin "Green Car Journal" wegen seiner "bahnbrechenden Dieseltechnologie" zum umweltfreundlichsten (!) Auto des Jahres gewählt wurde. Das aber nur dank einer Schummel-Software, die erst Jahre später, 2013, von Forschern der West Virginia University, entdeckt wurde. Es brauchte zwei weitere Jahre, bis Volkswagen den Betrug endlich zugab. All das werden die Amerikaner nie vergessen. Sie werden VW bluten lassen, und das werden sie noch viele Jahre tun. Man schaue sich nur die Deutsche Bank an, eine andere deutsche Wirtschafts-Ikone: Die muss bis heute für ihre Verfehlungen vor der Zeit der großen Finanzkrise büßen. Gerade erst sieht sich Deutschlands einst renommiertestes Geldhaus mit einer neuen, gigantischen 14-Milliarden-Dollar-Forderung des US-Justizministeriums konfrontiert. Für Fälle, die über zehn Jahre zurück liegen.

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DW-Wirtschaftsredakteur Henrik Böhme

Die harten Zeiten kommen noch

Die Volkswagen-Chefetage sollte sich das sehr genau anschauen. Klar ist jetzt schon: Sie werden in den USA wohl nie wieder einen Diesel verkaufen. Der bislang ausgehandelte Milliarden-Vergleich ist nur ein Anfang. Viele Bundesstaaten werden noch klagen, Investment- und Penionsfonds werden folgen. In Deutschland hat die juristische Aufarbeitung noch nicht einmal begonnen. Und wenn es erst mal losgeht, dann werden im Monatstakt immer wieder neue Schlagzeilen auftauchen, die alle Bemühungen von Volkswagen, Vertrauen zurück zu gewinnen, schwierig machen werden. Denn mit jeder dieser Schlagzeilen wird man daran erinnert: Stimmt, das waren ja diese Betrüger!

Keiner kann heute sagen, wie viel Geld die Aufarbeitung des Skandals den Konzern kosten wird. Knapp 17 Milliarden Euro sind zur Seite gelegt. Das wird aber nicht reichen. Manche Schätzungen gehen bis hin zu 35 Milliarden. VW wird also auf Jahre kein Geld verdienen. Geld, das man aber dringend braucht, um sich für die automobile Zukunft fit zu machen. Stichworte Elektroauto, autonomes Fahren. Konzernchef Müller hat, das steht auf der Habenseite, ein ehrgeiziges Programm vorgelegt. Aber ein so komplexes Gebilde mit zwölf Marken, weit über 100 Werken auf der ganzen Welt, über 600.000 Mitarbeitern - das krempelt man nicht in einem Jahr auf links. Das wird Zeit, Geduld und - richtig - Geld brauchen. Wenn jedes vierte Auto aus dem Hause VW künftig elektrisch fahren soll, dann braucht es ein Viertel weniger Verbrennungsmotoren und klassische Getriebe. Ein Elektromotor braucht deutlich weniger Handgriffe und Teile als ein Benziner - und ergo braucht es weniger Arbeitskräfte, ihn zu bauen.

Gefangen in der Krise

So also steckt Volkswagen auch nach einem Jahr noch fest im Schwitzkasten der selbst verschuldeten Krise. Die Aufklärung kommt voran, doch vor Ende des Jahres wird die beauftragte US-Kanzlei nicht liefern. Auch das wird übrigens wieder sämtliche Wunden aufreißen. Die Rückruf-Aktionen in den USA und Europa sind angelaufen. Aber auch da ist noch lange nichts in Butter: Noch immer warten viele Besitzer auf den Termin in der Werkstatt. Und angesichts der Entschädigungen, die in den USA gezahlt werden, in Europa aber nicht, fühlen sich viele berechtigterweise als Kunden zweiter Klasse.

Da mag es verwundern, dass die Käufer VW nach wie vor die Treue halten. Der befürchtete Absatzeinbruch bei der Kernmarke ist ausgeblieben. Das ist der einzige Hoffnungsschimmer, auf den VW derzeit bauen kann. Der Skandal jedoch, er wird noch lange der Beifahrer in Wolfsburg sein.

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58