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Von München nach München

Christian F. Trippe8. Februar 2015

München könnte am Wochenende zum Synonym für eine historische Wende geworden sein. Wieder einmal und wieder mit negativem Klang steht "München" für ein politisches Trauerspiel, meint Christian F. Trippe.

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Unwetter über München - Foto: Peter Kneffel
Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Verfolgt Russland eine langfristige Strategie? Oder handelt der russische Präsident eher situativ und spontan, um seinem Ziel näher zu kommen, Russland als Großmacht wieder erstehen zu lassen? Diese Frage stellen Außenpolitiker und Analytiker seit einem Jahr, seitdem Wladimir Putin mit der Annexion der ukrainischen Krim und der hybriden Kriegführung im Donbas an den Grundfesten der europäischen Ordnung rüttelt.

Der russische Außenminister Sergeij Lawrow ist ein gern gesehener Gast auf der Sicherheitskonferenz. Im Kreml-Machtzirkel ist er der Einzige, der seine Kontakte in den Westen pflegt - und damit so manche politische Verspannung der vergangenen Jahre etwas erträglicher machte. Doch sein Auftritt in München rief diesmal Entsetzen, Kopfschütteln und Gelächter hervor. Lawrow klang phasenweise wie ein Rezitator; er machte sich Versatzstücke jener dreisten Propaganda zu eigen, die in der ebenso falschen wie gefährlichen Schlussfolgerung mündet: Der Westen ist an allem Schuld, denn der Westen hat Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion systematisch gedemütigt.

Bühne für eine Brandrede

Logische Folge dieses Ansatzes: Alles was Russland jetzt tut, dient der Tilgung dieser über zwei Jahrzehnte erduldeten Schmach - und ist somit legitim. Entlarvend war Lawrows zorniges Diktum, der Westen habe sich nach dem Fall der Berliner Mauer so benommen, als ob er den Kalten Krieg gewonnen hätte. Ja was denn sonst? Selbsttäuschung ist in der Politik schon häufig in Selbstüberschätzung und Abenteurertum umgeschlagen.

Christian F. Trippe - Foto: DW
DW-Korrespondent Christian F. TrippeBild: DW

Schon 2007 hatte Lawrows Chef die Münchner Sicherheitskonferenz als Bühne zu einer Brandrede genutzt. Wladimir Putin hatte vor acht Jahren gegen die USA und die NATO vom Leder gezogen - aus heiterem Himmel, wie es damals vielen erschien. Im Rückblick erst wird klar, dass Putins Absage an eine "monopolare Welt" mehr war als eine rhetorische Kampfansage an den Westen: Putin nahm programmatisch vorweg, was in den Folgejahren die russische Außenpolitik prägen sollte - in Georgien, in Moldau, auf der Krim, in der Ost-Ukraine. Lawrows verstörender Auftritt dieses Jahr setzte somit eine Art Schlussakzent.

Die neue Ost-West-Konfrontation

Wenn Historiker in Zukunft fragen, wann und unter welchen Umständen der neue Kalte Krieg begonnen hat, können sie getrost auf die bayerische Landeshauptstadt verweisen. München steht für die neue Ost-West-Konfrontation, die allerdings nur wie ein deformierter Wiedergänger daherkommt. Diesmal will niemand im Westen diesen Konflikt, dem es an jeglicher ideologischer Kontur oder Konkurrenz fehlt. Russland hat kein anderes Ordnungs- oder Gesellschaftsmodell anzubieten. Der Versuch, eine orthodox-russische Welt den Werten des Westens entgegenzusetzen, wirkt bestenfalls bemüht. Strahlkraft hat er nicht.

Russlands politische Führung handelt gegen die Interessen des Landes, indem sie rationale Argumente und Angebote verwirft, indem sie zurückgreift auf eine reine Macht- und Gewaltpolitik. Hier gerät das bekannte München-Synonym ins Blickfeld, das München von 1938: Die Westmächte glaubten damals, Hitler beschwichtigen zu können, wenn sie ihm das Sudetenland zusprachen, und zwar ohne die Tschechoslowakei überhaupt zu fragen. Dieses "München" ist in der Ukraine heute ein Schreckbild für das, was geschieht, wenn ein Land zum Spielball größerer Mächte wird.

Immerhin sitzt der ukrainische Präsident Petro Poroschenko mit am Tisch, wenn am Mittwoch in Minsk auf einem Vierer-Gipfel über einen Waffenstillstand für die Ost-Ukraine verhandelt werden soll. Was auch immer dort verabredet wird: Die neue Ost-West-Konfrontation wird nicht beigelegt werden. Dafür sind die Trennlinien schon zu kräftig, die Russland in München gezogen hat.