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Von der Währungs- zur Transferunion

Rolf Wenkel Kommentarbild App
Rolf Wenkel
16. Juli 2015

Im Hellas-Drama biegt sich jeder die Wahrheit so zurecht, wie er es gebrauchen kann. Das tun nicht nur die Salonkommunisten in Athen, sondern auch Merkel und Schäuble, ärgert sich Rolf Wenkel.

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Symbolbild Hilfe für Griechenland
Bild: picture-alliance/dpa/Ohlenschläger

Die Bundeskanzlerin, ihr Finanzminister und ihre Amtskollegen in der Europäischen Union sind ganz offensichtlich Meister im Verdrängen von Realitäten. Sie beharren darauf, dass für Griechenland weder ein Schuldenerlass noch ein Schuldenschnitt in Frage kommt - sie tun einfach so, als ob Athen irgendwann in ferner Zukunft in der Lage wäre, seine Schulden zurückzuzahlen.

Der Internationale Währungsfonds und viele namhafte Ökonomen sprechen dagegen das aus, was die Steuerbürger Europas schon längst wissen: Elf Millionen Griechen können einen Schuldenberg von 323 Milliarden Euro niemals vollständig begleichen. Ein Schuldenschnitt und für die Restschulden noch einmal eine signifikante Streckung der Laufzeiten würden diesem geschundenen und gebeutelten Land wieder eine Perspektive geben.

Dumme Ideen

Mehr Ehrlichkeit gegenüber den Wählern und den Steuerzahlern stünde den Politikern ganz gut. So müssten sie eingestehen, dass es eine absurde und dumme Idee war, vor der Einführung einer gemeinsamen Wirtschafts-, Fiskal- und Sozialpolitik eine gemeinsame Währung einzuführen. Sie müssten eingestehen, dass es eine absolut dumme Idee war, die südlichen Weichwährungsländer in diesen Währungsclub einzuladen und ihnen damit die Möglichkeit zu rauben, Fehler in der Wirtschaftspolitik durch eine Abwertung ihrer Währung auszubügeln.

Mehr Ehrlichkeit würde aber auch bedeuten, den Steuerzahlern reinen Wein einzuschenken: Das Geld der beiden ersten Hilfsprogramme für Griechenland ist weg, und was auch immer im dritten Hilfsprogramm an Geld hinterhergeworfen wird, ist auch weg. Wenigstens aber sollte man so ehrlich sein, die neuen Hilfsgelder nicht als Kredite zu deklarieren, sondern als das, was sie tatsächlich sind: Transferzahlungen für ein notleidendes Volk. Die No-Bailout-Klausel in den Verträgen von Maastricht und Lissabon hat ohnehin keiner ernst genommen - am wenigsten die Spekulanten an den Finanzmärkten.

Porträt Rolf Wenkel (Foto: DW)
DW-Redakteur Rolf WenkelBild: DW

Technische Hilfe

Rund 70 Prozent der Griechen sind bekanntermaßen für einen Verbleib in der Eurozone, schon allein deshalb, weil mit dem Euro die jeweils herrschende Machtelite ihre Steigbügelhalter und ihre Klientel nicht mit der eigenen Gelddruckmaschine belohnen kann. So viel Tapferkeit sollte belohnt werden, nicht nur durch Transferzahlungen, sondern auch durch technische Hilfe.

So könnte Athen beispielsweise, wenn es schon nicht seinen überbordenden Apparat an Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst abbauen will oder kann, ihn wenigstens umschulen. Ich bin überzeugt: Mit genügend technischer Hilfe aus dem übrigen Europa können auch Griechen korrekte Buchführung lernen, eine Steuerverwaltung aufbauen und Katasterämter einführen. Zuerst aber müssten die Hellas-Banken rekapitalisiert werden. Denn ohne Geld und ohne Vertrauen in die Banken bricht auch die gesündeste Wirtschaft zusammen - unabhängig von der Frage, ob ein wirtschaftlicher Zwerg wie Griechenland unbedingt vier Großbanken braucht.

Vor allem aber sollten die Kanzlerin und ihr schwäbischer Kassenwart über einen Schuldenschnitt oder einen kompletten Schuldenerlass nachdenken. So etwas ist übrigens schon einmal geschehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten rund 70 Länder Forderungen gegenüber der jungen Bundesrepublik - sie beliefen sich auf rund 30 Milliarden D-Mark. Beim Londoner Schuldenabkommen von 1953 erließen die Gläubiger der Bundesrepublik rund die Hälfte der Schulden - und machten so das deutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit überhaupt erst möglich.

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