1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Verteidigt die Freiheit!

Schliess Gero Kommentarbild App
Gero Schließ
18. Juli 2016

In Zeiten von Terror und Gewalt hat die Freiheit einen schweren Stand. Doch der Verzicht auf Freiheit schafft nicht mehr Sicherheit. Deswegen muss die Freiheit jetzt entschieden verteidigt werden, meint Gero Schließ.

https://p.dw.com/p/1JQY8
Symbolbild Freiheit
Bild: picture alliance/Godong

Die Lage ist dramatisch. In den vergangenen zehn bis 15 Jahren waren die freiheitlichen Werte der westlichen Welt niemals so bedroht wie heute. Das hat mit der rapiden Zunahme von Terrorattacken zu tun und mit der Art, wie Regierungen und Gesellschaften darauf reagieren.

Im Angesicht des jeweils letzten Anschlages lösen Furcht und Angst regelmäßig die Sehnsucht nach mehr Sicherheit aus und beschleunigen so eine Dynamik, auf die der mittlerweile verstorbene frühere Verfassungsrichter Wilfried Hassemer schon im Jahre 2009 hinwies: "Sicherheitsbedürfnisse sind strukturell unstillbar", hatte Hassemer in einem Streitgespräch mit Wolfgang Schäuble treffend bemerkt und die Reaktionen der Staaten kritisiert, die auf die unablässig beschworene Bedrohungslage mit stetigen Verschärfungen der Sicherheitsgesetze antworteten.

Pervertierter Sicherheitsgedanke

Nach den Anschlägen von 9/11 wählten die USA genau diesen Weg. Sie restrukturierten ihre umfangreichen Sicherheitsapparate und erweiterten massiv deren Rechte - nach innen und nach außen. Die Folge war eine Perversion des Sicherheitsgedankens, wie sie sich in den Foltergefängnissen der CIA und im weitreichenden Überwachungszugriff der NSA bis hin auf das Handy der Bundeskanzlerin zeigte. Nicht zu reden von dem auf falschen Behauptungen basierenden Irakfeldzug, mit dem Präsident George W. Bush die angeblichen Drahtzieher von 9/11 zur Rechenschaft ziehen wollte.

Angesicht der tragischen Serie von Terroranschlägen ist jetzt Frankreich in die Spirale aus Angst und Gesetzesverschärfungen eingestiegen. Der seit den Terrorattacken vom 13. November mehrfach verlängerte Ausnahmezustand gibt Innenminister und Präfekten weitreichende Möglichkeiten, die bürgerlichen Rechte einzuschränken oder gar auszusetzen: Ohne richterlichen Beschluss dürfen sie Hausdurchsuchungen durchführen, sie können die Versammlungsfreiheit beschneiden oder den freien Verkehr von Personen und Fahrzeugen verbieten. Geheimdienstexperten sagen, dass die französischen Dienste weit mehr Überwachungsrechte haben als es die vielgescholtene NSA jemals hatte.

Schliess Gero Kommentarbild App
Gero Schließ, DW-Kulturkorrespondent

Neue Anschläge trotz neuer Gesetze

Weil aber die Wirkung ausbleibt und die verheerende Anschlagsserie nicht gestoppt werden konnte, werden die Durchhalteparolen immer unglaubwürdiger, die Ankündigungen immer maßloser. So kommt es, dass Präsident François Hollande und sein Innenminister Bernard Cazeneuve nun tausende Freiwillige als Reservisten einberufen wollen, damit sie die zum Schutz der Bürger abgestellten 100.000 (!) Polizisten und Soldaten unterstützen.

Der französische Politologe Alfred Grosser schrieb am Wochenende im Berliner "Tagesspiegel", dass Frankreich "eigentlich kein Rechtsstaat mehr" sei und den Konsens über Grundwerte wie Freiheit und Einigkeit aufgegeben habe. Grossers Analyse ist schlüssig. Der Aufstieg der rechtspopulistischen Marine Le Pen ist zusätzlicher Beleg für seine These.

Einschränkung der Bürgerrechte in vielen Ländern

Doch Frankreich steht damit in Europa nicht allein. Noch vor Präsident Hollande beschnitt der frühere britische Premierminister David Cameron die Bürgerrechte der Briten mit umfangreichen "Anti-Terror-Maßnahmen", die zudem eine massive Budgetaufstockung für die Geheimdienste vorsahen. Und auch wir Deutschen sind nicht gefeit vor reflexhaften Verschärfungsdebatten. "Deutschland ist ein potentielles Anschlagsziel", wird Justizminister Heiko Maas nicht müde zu warnen. Nicht auszudenken, welche Debatte wir bekämen, würden Terroristen in Deutschland einen Anschlag verüben. Doch auch so hat das Bundesverfassungsgericht in seinem gerade erlassenen Urteil zum BKA-Gesetz klargemacht, dass die seit 9/11 beschlossenen Sicherheitsgesetze rechtsstaatlich bedenklich sind.

Wenn es eine Lektion aus der französischen Tragödie gibt, dann ist es diese: Mehr Polizei und schärfere Sicherheitsgesetze schaffen nicht automatisch mehr Sicherheit. Aber sie können Schäden anrichten. Denn wenn wir grundlegende Bürgerrechte und unseren westlichen Lebensstil aufgeben, dann erreichen die Terroristen ihr Ziel. Und wir schwächen damit unsere moralische Position. Auch gegenüber rücksichtslosen Autokraten vom Schlage eines Erdogan, gegen dessen feldzugartige "Säuberung" von Richterschaft und Militär der westliche Protest zurzeit nur lauwarm ausfällt.

Das Fanal für die Freiheit mag nicht überall populär sein. Aber es gab in der jüngeren Geschichte selten eine Zeit, wo es so wichtig war wie heute.

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!