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Politik

Unerträgliche Hilflosigkeit in Syrien

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Alexander Kudascheff
6. Oktober 2016

Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Doch angesichts völlig gegensätzlicher Interessen der handelnden Kräfte zeichnet sich im Syrien-Krieg derzeit keinerlei Lösung ab, meint DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff.

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Syrien Zerstörtes Krankenhaus in Aleppo
Ein zerstörtes Krankenhaus in Aleppo. Immer mehr Kliniken in den umkämpften Regionen müssen die Arbeit einstellen.Bild: Reuters/A. Ismail

Der Krieg, das Morden und Sterben in Syrien geht unerbittlich weiter. Es ist ein Krieg, der nicht ausblutet - selbst im fünften Jahr nicht. Es ist ein Krieg, der mit unvorstellbarer Grausamkeit geführt wird - in erster Linie zu Lasten und auf Kosten der Bevölkerung, die längst von allen Seiten als Geisel gehalten wird. Anfang der Woche haben die USA die Hoffnung, den Krieg durch Verhandlungen zwischen den Amerikanern und Russen einzudämmen, formal beendet und die Gespräche abgebrochen. Und Russland hat daraufhin ein Abkommen mit den USA zur Entsorgung von waffenfähigem Plutonium ausgesetzt. Natürlich bekunden die Herren Kerry und Lawrow weiterhin ihren guten Willen, alles für den Frieden zu tun und telefonieren sogar miteinander - doch politische Durchbrüche erzielt man so nicht.

Das Scheitern der Gespräche - man weiß gar nicht, ob man es Verhandlungen nennen möchte - war eigentlich vorherzusehen. Denn Verhandlungen beruhen auf der Einsicht, die Interessen der anderen Seite wahr- und ernst zu nehmen und sie mit den eigenen Interessen abzugleichen - um zu sehen, ob ein Kompromiss möglich ist.

Keine Aussicht auf Kompromisse

Wie sieht es bei den Syrien-Gesprächen aus? Die Russen haben ein überragendes Interesse: Sie wollen Assad an der Macht halten und sich nebenbei als globaler, wieder ernst zu nehmender Faktor im Nahen Osten ins Spiel bringen. Dazu ist ihnen jedes, vor allem jedes militärische Mittel recht. Assad will selbstverständlich an der Macht bleiben - hat an Kompromissen keinerlei Interesse, denn jeder Kompromiss würde sofort sein politisches Ende bedeuten. Die Türkei will nicht, dass es zu einem kurdischen Staat kommt. Der Iran möchte die schiitische Herrschaft stärken, Saudi-Arabien sie dagegen verhindern. Und gegen den sogenannten "Islamischen Staat" sind alle, wenn es ihnen militärisch oder politisch zu pass kommt.

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DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff

Und der Westen? Vor allem die USA? Sie haben ein Interesse, den Krieg zu beenden. Sie wollen vor allem aus moralischen Gründen, dass das Schlachten, die Massaker, die Luftangriffe aufhören. Aber was wollen sie politisch? Ein Syrien in seinen alten Grenzen? Mit oder ohne Assad? Einen Kurdenstaat oder keinen? Mit dem Iran auch ins politische Gespräch kommen? Seine geopolitische Stellung halbherzig anerkennen oder nicht? Und dafür Saudi-Arabien, bisher ein Stabilitätsfaktor auf der Seite des Westens, als geistigen Hort des Salafismus ins politische Abseits stellen - ungeachtet der wirtschaftlichen und politischen Folgen? Oder doch das Königshaus in Riad stützen? Allein dass der Kongress der USA Klagen der 9/11-Opfer gegen Saudi-Arabien zuließ - gegen das Votum und Veto Obamas - zeigt: Saudi-Arabien kann sich in Washington nicht mehr als Partner fühlen. Auch hier steht Moral über Staatsinteresse. So bleibt ein manchmal auch halbherziges Interesse: der Kampf gegen den IS.

Stillstand bis zur US-Wahl

Dazu kommt: Obama ist in der Endphase seiner Amtszeit. Er ist bereits eine lame duck. Und es zeigt sich, dass er die USA konsequent von der Rolle des Weltpolizisten weg entwickelt hat. Obama möchte nicht mehr, dass die USA militärisch intervenieren, selbst wenn es strategisch sinnvoll erscheint. Er hat fast unbemerkt die USA diplomatisch zu einer Politik der Zurückhaltung geführt. In dieses Vakuum sind zuerst die Russen - von Obama auch noch verächtlich und falsch als Regionalmacht verspottet - eingefallen. Sie haben mit Putins rigoroser Entschlossenheit begonnen, sich weltpolitischen Einfluss zurück zu holen. Sie sind entschlossen, diesen Kurs mit allen Mitteln durchzusetzen, in Washington dagegen fehlt die "rote Linie", an der die Eindämmung beginnt.

Das weltpolitische Ringen wird erst nach der Wahl des neuen amerikanischen Präsidenten fortgesetzt. Bis dahin schafft Putin in Syrien Fakten, an denen man nicht mehr vorbei kommen kann. Allerdings wird man sich auch in Moskau daran erinnern, dass man zunächst in Afghanistan militärisch und politisch erfolgreich war, bevor man zermürbt nach zehn Jahren als Verlierer das Land verließ. Was wird also aus Syrien nach einem militärischen Erfolg der Russen und Assads? Ein nahöstliches Tschetschenien mit Friedhofsruhe? Oder ein nahöstliches Afghanistan, das im täglichen Terror untergeht? Dem Westen aber bleibt im Moment, wenn er sich nicht sofort strategisch zu einer "Eindämmungspolitik" entschließt - und danach sieht es nicht einmal im Ansatz aus - nur das hilflose Zusehen gegenüber dem Morden und Sterben in Syrien. Und das ist erst recht moralisch unerträglich.

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