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Trotz allem: Glückwunsch, CDU!

29. Juni 2015

"Ich, den Schwarzen mal gratulieren? Niemals!", dachte Volker Wagener lange Zeit. Jetzt tut er es dennoch. Und er kann es erklären.

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Merkel Wahlplakat in Berlin
Bild: Reuters

Es wird ja bekanntlich nie mehr gelogen als bei Beerdigungen, Ausständen und runden Geburtstagen. Die Gefahr ist also groß, die CDU zu ihrem 70. mit Lobhudeleien zu überschütten. Mache ich aber nicht. Die Wahrheit ist: Über die Jahre ist nicht nur die CDU älter und anders geworden, sondern auch ich. Also, Blick zurück ohne Filter und die Union beschreiben, wie ich sie sehe. Und vor allem: wie ich sie vor Jahrzehnten erlebt habe.

Als ich die CDU noch peinlich fand

Ich bin Jahrgang 1958. In den 70er-Jahren als Schüler und den 80ern als Student politisch sozialisiert, habe ich die CDU nie gemocht. Den Satz aus dem Horrorkabinett der Pädagogik: "Solange Du Deine Füße unter meinem Tisch..." habe ich einfach der Union zugeschrieben. Ungeprüft. Er passte so gut zu ihr, dachte ich. Diese mausgrauen Spießer waren nicht nur mir, sondern auch weiten Teilen der durch die 68er-Bewegung und Willy Brandt erweckten Jugendlichen Sinnbild der miefigen, selbstgerechten Deutschen. Und dann diese Junge-Union-Fuzzies. Krawattenhälse und darüber picklige Milchgesichter. Die sangen die Nationalhymne und sprachen viel vom Vaterland, wir hörten Pink Floyd und Frank Zappa und experimentierten mit alternativen Entspannungsmitteln.

Es gab uns und die Doofen. Wir lebten fröhlich in den Tag hinein und unser Weltbild war ein linkes. Die anderen hielten wir für Karrieristen und Opportunisten. Die hatten schon als Oberschüler Bausparverträge, während wir Wohngemeinschaften zur lebenslänglichen Sozialform erklärten. Gab es größere Gegensätze damals, als unsere Hosen unten noch breit waren und die Läden um 18 Uhr dicht machten?

Wagener Volker Kommentarbild App
DW-Redakteur Volker Wagener

Politisch waren die Dekaden zwischen 1970 und dem Mauerfall die letzten, in denen ideologisch noch Grundsatzschlachten geschlagen wurden - notfalls natürlich auch gegen die SPD. Der Nato-Doppelbeschluss - Aufrüstung des Westens, wenn Moskau nicht die Atomsprengköpfe hinter den Ural zurückzieht - war so ein Kampfplatz. Wir, die selbsternannten Gutmenschen, machten mobil unter Transparenten mit so christlich klingenden Slogans wie "Schwerter zu Pflugscharen". Helmut Kohl (CDU) setzte als Kanzler fort, was er von Helmut Schmidt (SPD) geerbt hatte. Das Festhalten am Nato-Beschluss. Und er hatte recht!

Wir Linken machten auf Pazifismus, idealisierten die DDR und die Sowjetunion. Kohl zeigte klare Kante. Für mich war er ein Kalter Krieger. Kohl konnte zu der Zeit nicht wissen, wie das atomare Fingerhakeln ausgehen würde. Doch dann fiel die Mauer und es gab plötzlich Antworten auf falsch gestellte Fragen. Kohl und seine CDU konnten sich bestätigt fühlen. Die harte Nummer hatte über die Jahre dem kommunistischen System ökonomisch den Rest gegeben. Spätestens mit dem Mauerfall veränderte sich mein Weltbild und die CDU war nicht mehr Projektionsfläche meiner Vorbehalte gegen die Konservativen. Sie hatten nicht alles, aber vieles richtig gemacht. Vor allem das Wichtige.

Kohl, die Einheit und der Stresstest der Linken

Das hatte seinen Grund. Nein, die Ostdeutschen wollten keine Reform ihres Sozialismus, sie wollten auch keine Konföderation und blockfrei sein wollten sie auch nicht. Sie wollten Marlboro rauchen, VW-Golf fahren und D-Mark aufs Konto. Unsere ganze theorielastige, kommunistische Sozialromantik war dahin. Wie Kohl unter dem Druck der Straße und unter den misstrauischen Augen der Welt die Volksbewegung kanalisiert hatte ohne einen einzigen Schuss, das war ganz große Politik. Er und die CDU waren buchstäblich näher am Menschen. Das musste ich mir irgendwann mal eingestehen. Mit Grausen denke ich gelegentlich daran, wie alles hätte anders kommen können. Teile der SPD oder eine geistige Autorität wie Günter Grass waren jedenfalls nicht bereit, Wirklichkeit anzuerkennen. Sie träumten weiter.

Und selbst in der Adenauer-Ära wurde von der CDU nicht der schlechteste aller möglichen Wege beschritten. Die frühe Westbindung der Bundesrepublik ist im Lichte der heutigen Realitäten kein Fehler gewesen. Was auch für die Europapolitik Angela Merkels gilt. Konsenspolitik kann kein Fehler sein. In diesem Sinne: Glückwunsch, Ihr Christdemokraten, von einem, der nun doch schon seit langem einen Bausparvertrag hat, es nicht mehr peinlich findet, wenn die deutsche Hymne erklingt und Euch dennoch nie gewählt hat! Aber man soll ja nichts ausschließen.

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Volker Wagener Redakteur und Autor der DW Programs for Europe