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Politik

Richtige Worte, unvereinbare Blickwinkel

Rosalia Romaniec | DW Mitarbeiterin | Leiterin Current Politics
Rosalia Romaniec
5. Juni 2018

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier macht es richtig: Während die Regierungen verstummen, tut er alles, um den Dialog zwischen Deutschen und Polen aufrechtzuerhalten. Das ist nicht leicht, findet Rosalia Romaniec.

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Frank-Walter Steinmeier Besuch in Polen Warschau
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l.) und Polens Präsident Andrzej DudaBild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Es gab mal Zeiten, die sind erst wenige Jahre her, da gehörten deutsch-polnische Treffen zur Routine. Man hat lebhaft diskutiert, gefeilscht, gestritten - eine normale Nachbarschaft. Seit 2015 die Nationalkonservativen in Polen an die Regierung gekommen sind, ist es vorbei. Die Optimisten glauben, das sei nur vorübergehend. Die Pessimisten sehen Polen sich zunehmend von Deutschland entfernen. Letztere werden wohl noch eine Weile recht behalten.

Umso wichtiger ist der Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Warschau. Dort findet er die richtigen Worte, erinnert an die deutsche Verantwortung für die schmerzvolle Geschichte. Als erstes deutsches Staatsoberhaupt schlägt er für 2019 eine gemeinsame Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen vor. Für beide - Gast und Gastgeber - ist das eine identitätsstiftende Geste.

Polen sucht Sicherheit

Den Polen wird das nicht reichen. Das Vertrauen beider Länder zueinander schrumpft. Die Werte driften auseinander. Die Polen wissen zwar, dass die Deutschen sie auf ihrem Weg nach Europa unterstützt haben, und sie mögen die Deutschen. Doch viel mehr als Sympathie zählt für Polen ihre Sicherheit: Warschau braucht Partner, auf die es sich verlassen kann.

Deutsche Welle Rosalia Romaniec Portrait
DW-Redakteurin Rosalia RomaniecBild: DW/B. Geilert

In diesem Punkt haben die USA den Deutschen längst den Rang abgelaufen. In der polnischen Wahrnehmung gilt US-Präsident Donald Trump als "best friend". Wo Polen gegen deutsche Interessen nicht ankommen, können sie sich darauf verlassen, dass Trump Klartext mit Berlin spricht. Dass er vor allem seine eigenen Interessen verfolgt, spielt für Warschau keine Rolle.

Ein Dorn im Auge ist den Polen auch der deutsch-russische Schulterschluss beim Nord-Stream-Projekt. Als Ex-Kanzler Gerhard Schröder der Ostsee-Gaspipeline zustimmte, war Steinmeier Kanzleramtschef - das macht seinen Besuch in Warschau nicht leichter. Mittlerweile wird die Pipeline Nord Stream 2 gebaut.

Warschau blickt nach Washington

Polen ärgert auch, dass Deutschland die kalte Schulter zeigt, wenn es um NATO-Ausgaben geht. Wie soll Warschau sich auf den NATO-Partner verlassen, wenn dessen Flieger nicht abheben und dessen Panzer nicht rollen können, fragen sich viele Polen. Wer hilft, wenn Russen nach Westen aufbrechen, wie sie schon Richtung Krim aufbrachen? Im pragmatischen Berlin hält man die Sorgen für überzogen. Doch in Polen ist die Angst allgegenwärtig. Die USA verstehen das.

Frank-Walter Steinmeier absolviert in Polen eine Reise mit starken historischen Akzenten. Sie erinnert an das 100-jährige Jubiläum der wiedererlangten polnischen Unabhängigkeit. Ende des 18. Jahrhunderts hatten Russland, Preußen und Österreich internationales Recht mit Füssen getreten und ihren schwächelnden Nachbarn Polen untereinander aufgeteilt. So verschwand der Staat für rund 120 Jahre von Europas Landkarte.

Dass Polen nach fünf Generationen wieder auflebte, war weder Zufall noch der Einsicht der Nachbarn geschuldet, sondern Ergebnis eines langen Kampfes um die eigene Existenz. Und was viele nicht wissen: Schon damals stellten sich die USA an Polens Seite. Der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson forderte in seinem 14-Punkte-Plan 1918 vor dem Kongress nicht nur den Frieden für Europa, sondern auch Freiheit für Polen. Wenn Polen heute an seine Geschichte erinnert, hat es auch diese Geste im Blick.

"Wir" steht für unterschiedliche Werte

Auf der Reise nach Warschau greift der Bundespräsident nur am Rande die aktuelle politische Lage auf. Er will das Erreichte bewahren und spricht vom starken "Wir" in Europa. Das will auch Polen. Gleichzeitig fühlt es sich wohler im Anti-Establishment-Lager von Trump & Co. - mit starker nationaler Gesinnung und dem zugehörigen Militär.

Doch wenn Steinmeier in Warschau von einem "Wir" spricht, meint er ein Europa, das gerade dagegen zusammenhält und sich für neue Herausforderungen wappnet. Die sieht er neuerdings auch im Westen und meint damit wohl die USA. Für Polen ist aber derzeit der direkte westliche Nachbar Deutschland die größere Herausforderung. In Berlin sollte man das verstehen.

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Rosalia Romaniec | DW Mitarbeiterin | Leiterin Current Politics
Rosalia Romaniec Leiterin Current Politics / Hauptstadtstudio News and Current Affairs@RosaliaRomaniec