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Sklaven der Moderne

Marcel Fürstenau, Berlin29. August 2015

Studien zufolge beklagen sich die meisten Deutschen, zu wenig Zeit für Familie und Freunde zu haben. Bevor sie die Schuld bei anderen suchen, sollten sie ihr eigenes Verhalten hinterfragen, empfiehlt Marcel Fürstenau.

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Eine Sanduhr im Sand symbolisiert die verrindende Zeit
Bild: Gerhard Seybert/Fotolia

Wie gehen die Deutschen mit ihrer Zeit um? Familienministerin Manuela Schwesig wollte es ganz genau wissen. Antworten liefert ihr und uns das Bundesamt für Statistik in einer aktuellen Untersuchung. Auffälligster Befund: Viele wünschen sich mehr Zeit für soziale Kontakte. Gemeint sind - wohlgemerkt! - unmittelbare menschliche Begegnungen, keine virtuellen in den sogenannten sozialen Netzwerken. Paradoxerweise verbringen aber die meisten sehr viele Stunden im Internet - oder vor dem Fernseher. Zu diesem Ergebnis gelangt, nicht zum ersten Mal, die Stiftung für Zukunftsfragen in ihrem jährlich erstellten Freizeit-Monitor.

Wenn laut Studie jedem durchschnittlich Tag für Tag fast vier Stunden zur freien Gestaltung bleiben, dann kann es kein gravierendes Zeitproblem geben. Es ist in den allermeisten Fällen eine Frage des Umgangs mit diesem kostbaren Gut. Gehetzter, genervter, angespannter fühlen sich die Deutschen (und wohl auch die Menschen in anderen Ländern). Das liegt natürlich auch an der insgesamt beschleunigten modernen Gesellschaft. Arbeitsverdichtung im beruflichen und privaten Umfeld ist keine Einbildung, sondern Realität. Trotzdem kann und sollte man bei sich anfangen, wenn man daran etwas ändern will.

Sprechen Sie mit Menschen statt mit Geräten!

Müssen alle Mails wirklich sofort gelesen werden? Schalten Sie den Signalton Ihres Mobiltelefons aus, der jede eintreffende Nachricht ankündigt! Damit schonen Sie auch die Nerven Ihrer Umgebung. Spielen Sie weniger mit der Fernbedienung Ihres TV-Geräts und mehr mit Ihren Kindern oder Freunden! Werden Sie aktiv und lassen sich nicht dauernd berieseln! Lesen Sie ein Buch statt Werbeprospekte! Lassen Sie sich nicht Bedürfnisse einreden, die Sie gar nicht haben! Fragen Sie zuerst einen Passanten auf der Straße nach dem Weg und erst dann den Routenplaner Ihres Smartphones, wenn der Unbekannte nicht weiterhelfen kann.

Kommentator Marcel Fürstenau aus dem Hauptstadtstudio der Deutschen Welle
DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel FürstenauBild: DW/S. Eichberg

Zugegeben: Moderne Technik, nützliche Apps sind kein Teufelszeug. Es kommt jedoch auf eine sinnvolle Nutzung an. Was man darunter versteht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber bitte nicht andere dafür verantwortlich machen, dass man angeblich keine Zeit hat. Früher hatte der Tag auch nur 24 Stunden. Die Menschen haben länger gearbeitet, hatten weniger Urlaub - und dennoch mehr Zeit. Ein Widerspruch? Keinesfalls, sie sind mit ihrer (Frei)zeit nur souveräner umgegangen. Sie hatten es natürlich auch leichter, weil sie weniger Auswahl, weniger Ablenkung hatten und der Konsumdruck geringer war.

Haben Sie Mut zur Lücke!

Wenn sich die Zahl der Sportarten seit 1980 verfünffacht und die Fläche der Shoppingmall-Quadratmeter sogar versechsfacht hat, kostet das Ganze nicht nur potenziell mehr Geld, sondern auch Zeit. Aber auch hier gilt: Muss man wirklich alles ausprobieren, jeden Trend, jede Mode mitmachen? Haben Sie Mut zur Lücke! Sie müssen nicht jede Folge einer Seifenoper sehen, nicht jede Schlagzeile über oft Belangloses kennen. In der Flut vermeintlicher Informationen und Neuigkeiten verlieren Sie nicht nur den Überblick, sondern auch Zeit. Am Ende wissen Sie weniger als jene, die sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen.

P.S. Sollten Sie mit meinen Ratschlägen nichts anfangen können, entschuldige ich mich dafür, dass Sie meinetwegen Ihre Zeit verschwendet haben…