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Kommentar: Skandalöses Schweigen

Matthias von Hein2. Dezember 2005

In Singapur werden, relativ zur Bevölkerung, die meisten Menschen hingerichtet. So wie jetzt, als Ministerpräsident Lee Hsien Loong in Deutschland war. Kritische Fragen stellte keiner. Matthias v. Hein kommentiert.

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Bild: AP

Nur gut viereinhalb Millionen Einwohner zählt der Stadtstaat Singapur. Dennoch wurden dort in den letzten 15 Jahren über 400 Menschen hingerichtet, die meisten wegen Drogendelikten. Am Freitag Morgen um 6 Uhr Singapurer Zeit hat der Henker sein Werk erneut verrichtet: an einem 25-jährigen Australier vietnamesischer Herkunft. Ngyen Tuong Van war vor drei Jahren mit 400 Gramm Heroin erwischt worden - nicht etwa bei der Einreise nach Singapur, sondern im Transitbereich des Flughafens auf dem Weg in seine Heimat Australien. Der bis dahin unbescholtene Mann wollte seinem Zwillingsbruder helfen, Spielschulden zu begleichen.

Deutschland blauäugig …

Es ist schon sonderbar. Kein Wort der Kritik war am Donnerstag bei den Terminen von Singapurs Premier Lee Hsien Loong in Berlin öffentlich zu hören. Nicht von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, nicht von Bundestagspräsident Norbert Lammert und auch nicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Stattdessen allgemeine politische Anerkennung: Merkel nannte Singapur einen "außerordentlich wichtigen Partner in Südostasien". Deutschland und Singapur wollen ihre politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit deutlich ausbauen. Man will gemeinsam gegen den Terror kämpfen.

Lee Hsien Loong, hatte Nguyens Begnadigung noch am Tag der Hinrichtung ausgeschlossen. "Alle Faktoren wurden berücksichtigt, aber die Regierung hat entschieden, dass das Gesetz angewendet werden muss, und das Gesetz wird angewendet werden", sagte Loong nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Hatte denn niemand Frau Merkel informiert? Not täte in Singapur der Kampf gegen staatlichen Terror! Die "Peoples Action Party" übt eine Ein-Parteien-Herrschaft aus - trotz einer formal vorhandenen Opposition. Deren Arbeit wird nach Kräften und höchst effektiv behindert. Singapur hält sich viel auf sein englisches Rechtssystem zugute. Trotzdem können dort ganz ohne Gerichtsverfahren Menschen beliebig lange hinter Gitter gesperrt werden. Auch von Pressefreiheit ist keine Spur.

… oder ignorant?

Das geradzu klinisch saubere Singapur weist unter seiner Oberfläche von Wohlstand und Ordnung alle Merkmale eines autoritären Staates auf. Und Singapur hält die zweifelhafte Spitzenposition bei Hinrichtungen weltweit in Relation zur Bevölkerung. Selbst China mit seiner zu Recht kritisierten massenhaften Anwendung der Todesstrafe wird durch die Henker in Singapur noch in den Schatten gestellt.

Der australische Generalstaatsanwalt sprach angesichts der Hinrichtung eines Landsmannes in Singapur zu Recht von einem "barbarischen Akt". Auch von der deutschen Politik hätte man sich solch deutliche Worte gewünscht. Dass sie ausblieben, kann man nur mit Doppelmoral oder mit Unkenntnis erklären. Beide Erklärungen wären ein gleichermaßen verheerendes Zeugnis für das politische Berlin.