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Politik

Serbiens nützlicher Autokrat

Dragoslav Dedović - Foto: DW
Dragoslav Dedović
13. April 2017

Aleksandar Vučić stellt sich gern als Deutschland-Fan dar. Doch einen praktizierenden Autokraten als normalen konservativ-liberalen Europäer zu sehen, wäre entweder naiv oder zynisch, meint Dragoslav Dedović.

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Serbien Außenminister Gabriel in Belgrad | Aleksandar Vucic
Bild: picture alliance/dpa/M. Skolimowska

Der Besuch des deutschen Außenministers Sigmar Gabriel soll eigentlich zur diplomatischen Routine gehören. Er ist als Gast in Belgrad willkommen, denn der starke Mann Serbiens, Aleksandar Vučić, der gerade sein Amt als Ministerpräsident gegen das Amt des Staatspräsidenten tauscht, präsentiert sich in allen seinen öffentlichen Auftritten als Deutschland-Fan.

Aus Sicht der Berliner Regierung ist das sicherlich ein Geschenk, wenn man um die historisch bedingte Deutschland-skeptische Haltung vieler Serben weiß. Noch wichtiger aber: Vučić gestaltet seine Flüchtlingspolitik so, wie es dem Westen und besonders Deutschland genehm ist. Dabei ist er smarter und weniger rüpelhaft als der ungarische Präsident Orban. Und er sorgt auch dafür, dass Serbiens spannungsvolle Beziehung zum - von seiner Regierung nicht anerkannten Staat - Kosovo nie aus dem Ruder läuft.

Zwei Gesichter Vučićs

So entsteht das gängige Bild vom starken Mann Serbiens: Er liebäugelt zwar mit Russland, damit die nationalistischen Wählerschichten bedient werden, sein Land richtet er jedoch energisch Richtung Brüssel aus.

Dragoslav Dedovic Kommentarbild App
Dragioslav Dedovic leitet die serbische Redaktion der DW

Ein ehemaliger serbischer Ultranationalist als überzeugter Europäer und Deutschland-Fan? Es klingt gut. Es klingt so gut, dass ihn nicht nur die deutschen Berufsdiplomaten, sondern auch diverse Kommentatoren in der deutschen Presselandschaft regelmäßig peinlich loben. Aber einen praktizierenden Autokraten als normalen konservativ-liberalen Europäer zu sehen, ist entweder an Selbsttäuschung grenzende Naivität oder blanker Zynismus.

Denn Vučić gängelt systematisch die Medien in Serbien. Bei den Präsidentschaftswahlen bekam er auf allen landesweiten Kanälen doppelt soviel Sendezeit wie alle anderen zehn Kandidaten zusammen. Die Busunternehmer im staatlichen Besitz setzen die normalen Fahrpläne außer Kraft, damit die Parteianhänger landesweit zu Parteiveranstaltungen kutschiert werden konnten.

Bei den Auftritten der anderen Kandidaten konnte es schon mal passieren, dass das Internet verstummte oder der Strom ausfiel. Seine Serbische Fortschrittspartei ist die effizienteste Beschäftigungsagentur Serbiens - das Parteibuch ist die Eintrittskarte für den Job. Gleichzeitig hat Vučić den klassischen Machtapparat nicht vergessen: Die Justiz, die Polizei und die Geheimdienste stehen fest unter seiner unsichtbaren aber effizienten Kontrolle.

Europas Liebling auf dem Balkan

So holte Vučić 55 Prozent bei den Wahlen, die von Anfang an unter irregulären Bedingungen stattfanden. Sein Plan: Er wird eine Marionette zum Regierungschef ernennen und als Staatspräsident und Parteivorsitzender in den kommenden fünf Jahren ungestört regieren.

Trotz alledem lobte der deutsche Außenminister Gabriel unmittelbar vor seinem Besuch in Belgrad in einer nicht gerade regierungskritischen serbischen Boulevardzeitung "beeindruckende Reformfortschritte" des Landes auf dem Weg in die EU. In Belgrad bekräftigte er seine Haltung. Mehrmals lobte er Serbiens Rolle als "Stabilitätsfaktor" in der Region.

Die Proteste, die seit Tagen die Straßen mehrerer serbischer Städte prägen, waren dem deutschen Chefdiplomaten nur ein paar Phrasen wert. Die Proteste seien ein Teil der Demokratie und es sei wichtig, dass sie friedlich und ohne Einmischung des Staates verlaufen, sagte Gabriel in Belgrad.

Landesweite Proteste

Dabei haben viele, vor allem urbane junge Menschen in Serbien die Nase voll - seine postmoderne Demokratur empfinden sie als ein unverschämtes Diktat. Studenten verabredeten sich im Netz und begannen mit den Straßenprotesten. Eine Mischung aus Straßenkarneval, Politsatire und Wut rollt bereits seit zehn Tagen durch serbische Großstädte.

Serbien Außenminister Gabriel in Belgrad | Aleksandar Vucic
Gute Stimmung in Belgrad: Sigmar Gabriel und Aleksandar VučićBild: picture alliance/dpa/M. Skolimowska

Demonstranten verlangen nicht nur den Rücktritt von Vučić, sondern den der gesamten Polit-Elite des Landes, inklusive Opposition. Natürlich ist das jugendlich überzogen. Konkreter und realistischer wirken da die Forderungen nach einem Rücktritt der Wahlkommission sowie der Chefs der öffentlich-rechtlichen Medien, die über Belanglosigkeiten ausführlich berichten, aber über Protestversammlungen schweigen. Die Protestierenden möchten faire Regularien bei den künftigen Wahlen, den Zugang zu Bildung und das Recht auf kostenlose medizinische Behandlung für alle. Die Intention der jungen Menschen stimmt zum großen Teil mit den Kritikpunkten im jüngsten EU-Fortschrittsbericht überein.

Berlins Schweigen

Zehntausende möchten ihr in Korruption, Parteien-Herrschaft, Armut und postfaktischen medialen Verzerrungen versunkenes Land positiv verändern. Das von regierungstreuen Medien veranstaltete  Demonstranten-Bashing treibt noch mehr Leute auf die Straße. Wenn sie scheitern, werden sie früher oder später als gut gebildete und produktive Bürger in einem der westlichen Staaten leben. Gut für diese Länder, tragisch für Serbien.

"Stabilokraten" nennt man die autoritären Herrscher entlang der Balkan-Route. Sie sorgen für Ruhe und opfern leise alle Werte, die sie laut verkünden. Das werden Gabriels bescheidenes Bemühen um das Treffen mit den "Vertretern der Zivilgesellschaft" sowie die in Serbien nicht wahrnehmbaren kritischen Töne "aus seiner Umgebung" nicht ändern. Ob Berlin weiter wegschaut, wird sich spätestens nach den Bundeswahlen zeigen.

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