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Kommentar: Serben wählen das kleinere Übel

Verica Spasovska7. Mai 2012

Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Serbien habe keine großen Machtverschiebungen im Land gebracht. Die Wähler haben sich für die Berechenbarkeit entschieden. Und für die Fortsetzung des europäischen Weges.

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Serbien ächzt unter der Wirtschaftskrise wie nie zuvor. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem historischen Rekordstand. Die meisten Firmen können ihre Gehälter nicht fristgerecht auszahlen. Die Korruption grassiert. Dennoch haben die Wähler bei den Parlamentswahlen den bisherigen Regierungsparteien im Großen und Ganzen das Vertrauen erneut ausgesprochen. Für den bisherigen Präsidenten Boris Tadic stehen die Chancen gut, dass seine pro-europäische Demokratische Partei (DS) wieder eine Koalition mit den Sozialisten (SPS) eingeht. Die Nachfolgepartei des früheren serbischen Präsidenten Milosevic ist der eigentliche Sieger der Parlamentswahlen, denn sie hat überraschend deutlich an Stimmen zugelegt und kann nun selbstbewusst in Koalitionsverhandlungen gehen. Ihr Vorsitzender Ivica Dacic, der als bisheriger Innenminister eine bedeutende Rolle in der Regierung eingenommen hatte, dürfte nun noch stärker als bisher zum politischen Konkurrenten von Tadic aufrücken.

Eine Machtübernahme durch die national-konservative Fortschrittspartei (SNS) unter Tomislav Nikolic, die einen hauchdünnen Vorsprung bei den Parlamentswahlen erzielt hat, wird es wohl nicht geben. Denn der Partei fehlt ein geeigneter Koalitionspartner. 

Entscheidung für die Berechenbarkeit

Serbiens Wähler haben sich angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Misere für eine bekannte Größe entschieden und damit für das kleinere Übel. Wie enttäuscht sie von der Regierungsarbeit der bisherigen Koalition und der damit verbundenen schlechten wirtschaftlichen Lage eigentlich sind, zeigt der Verlust von einem Drittel der Stimmen, die Tadics Partei hinnehmen musste. 

Verica Spasovska (Foto: DW)
Verica Spasovska, Leiterin der Mittel- Südosteuropa Redaktion

Eine Fortführung des alten Regierungsbündnisses bedeutet für die Region Kontinuität und Berechenbarkeit. Denn der pro-europäische Kurs kann nun, gestärkt durch den gerade erst erworbenen EU-Beitritts-Kandidatenstatus, mit hoher Priorität weiterverfolgt werden. Auch ist davon auszugehen, dass der Dialog und die damit einhergehende Normalisierung mit dem Kosovo fortgeführt werden, das von Serbien nicht als unabhängiger Staat anerkannt wird. Aber die Europäische Union wird darüber hinaus auch einfordern, dass die Parallelstrukturen im Norden des Kosovo abgebaut werden und der Einfluss Serbiens auf den Nordkosovo insgesamt verringert wird.

Jenseits der Außenpolitik wird die Hauptaufgabe der Regierung darin bestehen, innere Reformen anzupacken, um den EU-Beitritt voranzubringen: das Justizwesen muss reformiert, Staatsfirmen privatisiert und Korruption und organisierte Kriminalität effektiver als bisher bekämpft werden.

Gleichzeitig mit den Parlamentswahlen haben die Wähler auch ihre Stimme für den Präsidenten abgegeben, der in Serbien eigentlich eine repräsentative Funktion hat. Aber Boris Tadic hat in seiner Amtszeit die Bedeutung des Präsidentenamtes deutlich aufgewertet. Denn im Gegensatz zu dem blassen Ministerpräsidenten Mirko Cvetkovic war Tadic allgegenwärtig. Das lag auch daran, dass Tadic nicht nur Staatspräsident sondern gleichzeitig Vorsitzender der stärksten Regierungspartei ist.

Weiter auf dem Weg in die EU

Deshalb wird es spannend, wenn in zwei Wochen das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Tadic und Nikolic entschieden wird. Tadic liegt zwar mit einer hauchdünnen Mehrheit vor Nikolic und hat gute Chancen, von den Sozialisten unterstützt zu werden, aber sicher ist die Wahl Tadics noch nicht. 

Doch selbst wenn Nikolic in der Stichwahl gegen Tadic siegen würde, wäre dies keine Schicksalswahl für Serbien. Einerseits haftet zwar Nikolics Partei noch immer ihre düstere Vergangenheit an. Nach der Abspaltung von der Radikalen Partei des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Vojislav Seselj hat sie die Rolle der von ihr unterstützten paramilitärischen Banden während des Krieges nie aufgearbeitet. Vielmehr hat sie den Bruch aus rein taktischen Gründen vollzogen, da Nikolic keine Chance hat, Regierungschef in Belgrad zu werden, solange Seselj in Den Haag vor Gericht sitzt. Aber selbst wenn Nikolic die Präsidentenwahl gewinnen sollte, ist der Weg Serbiens in die EU nicht aufzuhalten. Auch Nikolic hat sich deutlich für den EU-Beitritt Serbiens ausgesprochen. Die Wähler in Serbien haben ein klares Zeichen gesetzt: Der Weg in die Europäische Union soll weiter beschritten werden. Auch wenn er nicht einfach wird und noch eine Dekade dauern sollte.