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Sechs Minuten. Für eine neue Zeit

11. Juli 2015

Im Vatikan hat das Verfahren gegen einen ranghohen katholischen Geistlichen wegen sexuellen Missbrauchs begonnen. Der Prozess steht für das Umdenken der Kirche. Sie muss konsequent aufarbeiten, meint Christoph Strack.

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Petersdom (Foto: DW)
Bild: DW

Gut sechs Minuten. Dann war auch schon wieder Schluss an diesem Samstag im Vatikan, weil der Angeklagte krank geworden ist. Aufschub in einem Strafgerichtsverfahren, das weltweit Beachtung findet. Der Angeklagte Jozef Wesolowski ist niemand geringerer als ein früherer Nuntius, ein Botschafter des Papstes. Der aus Polen stammende Erzbischof soll in der Dominikanischen Republik mehreren Jungen sexuelle Gewalt angetan haben.

Einen Tag vor dem Verfahren war der 66 Jahre alte Wesolowski wegen gesundheitlicher Probleme in die Intensivstation einer römischen Klinik eingeliefert worden. Eigentlich habe er, sagte sein Anwalt, aussagen wollen. Damit würde der Ex-Diplomat, der kirchenrechtlich bereits bestraft wurde und alle priesterlichen Rechte verloren hat, sich selbst und den Opfern, vielleicht auch dem kirchlichen Apparat ein längeres Verfahren ersparen. Aber wenn er aussagt, wird vielleicht auch mehr deutlich über Strukturen, die solche Verbrechen begünstigen könnten.

Das Problem jahrelang "weggedrückt"

Christoph Strack (Foto: DW)
Christoph Strack, Korrespondent im DW-HauptstadtstudioBild: DW

Trotz der Kürze des Verfahrensbeginns: Die wenigen Minuten sind sechs Minuten für eine neue Zeit. Denn erstmals überhaupt muss sich ein ehemals ranghoher katholischer Geistlicher vor einem weltlichen Strafgericht im Vatikan wegen sexuellen Missbrauchs verantworten. In dem Verfahren drohen ihm nach Angaben des Vatikans bis zu sieben Jahre Haft.

Welchen Stellenwert dieses Verfahren hat, machte vor wenigen Tagen der derzeit wichtigste Experte der katholischen Kirche bei der Missbrauchsaufarbeitung deutlich. Die katholische Kirche habe das Problem jahrzehntelang "einfach weggedrückt, einfach nicht darüber nachgedacht", sagte der Präsident des Päpstlichen Kinderschutzkommission, der Deutsche Hans Zollner.

Zollner ist Jesuit, wie Papst Franziskus. Er reist viel in seinem Job und bekommt mit, dass nicht in allen Ländern die Aufarbeitung vorangeschritten ist wie zum Beispiel in Deutschland. In den vergangenen Jahren kamen erschütternde Kinofilme aus Polen (Verfehlung) und Chile (El Club); das sind zwei der Länder, in denen Aufarbeitung noch ansteht. Die Zahl liegt weit höher. Denn der Druck durch Opfer, die den Mut hatten, sich zu melden, brachte Klärung bislang eher in westeuropäischen Ländern, den USA und Australien. Sie legte Verbrechen offen, die so viele Leben Heranwachsender zerstört oder beeinträchtigt haben.

Trotz aus kirchlichen Kreisen

Papst Franziskus hat im Mai Fälle von sexuellem Missbrauch durch Geistliche als "schreckliche Straftat" bezeichnet und mit einer satanischen Messe verglichen. Das Kirchenoberhaupt setzt öffentlich auf Aufklärung und Aufarbeitung und ermutigt damit die Expertenkommission rund um den Jesuiten Zollner, der gelegentlich in kirchlichen Kreisen gewiss auch Trotz begegnen wird. Kürzlich legte die Kommission den zuständigen Vatikanbehörden einen Entwurf vor, nach dem das Vertuschen durch Bischöfe zu einem eigenen Straftatbestand im katholischen Kirchenrecht werden soll. Selbstverständlich ist es längst nicht, dass das auch festgeschrieben wird.

Noch vor wenigen Jahren wäre der Gedanke, einzelne Bischöfe würden bei solchen Verbrechen vertuschen, mit Empörung zurückgewiesen worden. Die Zeiten ändern sich… Diesmal also sechs Minuten, bald dann das längere Verfahren. Die Kirche sollte, sagt Zollner, mehr auf Missbrauchsopfer zugehen. Sollte Franziskus weiter Druck machen und die kirchlichen Behörden mitziehen, gäbe es tatsächlich eine neue Zeit.