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Politik

Rette sich, wer kann

DW Nachrichten TV Oliver Sallet
Oliver Sallet
11. September 2017

Die türkische Regierung hat eine Reisewarnung für Deutschland ausgesprochen. Ein Ablenkungsmanöver, das vor allem über die Menschenrechtssituation im eigenen Land hinwegtäuschen soll, meint Oliver Sallet.

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Deutschland Bundeskanzlerin Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan in Hamburg
Bild: picture-alliance/POP-EYE/B. Kriemann

Es klingt doch wie ein Witz: Eine Reisewarnung für Deutschland - ausgestellt von der türkischen Regierung. Der Willkürstaat wirft dem Rechtsstaat Rassismus vor. Doch die neueste Provokation aus Ankara ist mitnichten komisch gemeint. Erdogan meint es ernst: Deutschland sei gefährlich, die eigenen Staatsbürger müssten gewarnt werden. 

Dabei stellen immer mehr Flüchtlinge aus der Türkei in Deutschland einen Antrag auf Asyl. Seit dem vereitelten Putschversuch im Sommer 2016 suchen türkische Staatsbürger gerne Schutz in Deutschland. Allein im Juli waren es mehr als 600 Anträge - die Zahl hat sich in den letzten beiden Jahren mehr als verdreifacht. 

Ausgerechnet in Deutschland. Denn in der Reisewarnung vom Samstag rät die türkische Regierung: man solle sich nicht auf „politische Debatten einlassen" und auf „rassistische und ausländerfeindliche Aggressionen" zurückhaltend reagieren. Zumindest die türkischen Asylsuchenden scheint das bislang nicht abzuschrecken.

Rechtspopulistische Töne werden immer salonfähiger

Richtig ist: rechtspopulistische Töne werden seit der Flüchtlingskrise in Deutschland immer salonfähiger. Mit der AfD zieht wahrscheinlich erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg eine rechte Partei in den Bundestag ein. Und Spitzenkandidat Alexander Gauland hat vor kurzem gefordert, die türkischstämmige Migrationsbeauftragte Özoguz „in Anatolien zu entsorgen". Jetzt ermittelt zwar die Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung. Der Beliebtheit der AfD tut dies jedoch keinen Abbruch. Sie könnte bei den Bundestagswahlen sogar drittstärkste Kraft werden.

Oliver Sallet Kommentarbild App
DW-Korrespondent Oliver SalletBild: DW

Diese Aufregung der Türken mag noch berechtigt sein. Eine Gefahr für Türken in Deutschland gibt es jedoch nicht. Und ohnehin sind die Zahlen türkischer Touristen hierzulande eher gering - und auch die zwei Millionen in Deutschland lebenden Türken dürften sich kaum fürchten, „in Anatolien entsorgt zu werden". An sie dürfte die Reisewarnung Erdogans aber auch nicht gerichtet sein.

Erdogan nutzt deutschen Wahlkampf, um an der Eskalationsspirale zu drehen

Wen Erdogan mit seiner Botschaft erreichen will ist klar: Millionen türkische Wähler, die noch nie in Deutschland gewesen sind und auch keine Reise dorthin beabsichtigen. Es geht um Innenpolitik und die Gunst der eigenen Unterstützer. Der Machthaber vom Bosporus will ein weiteres Zeichen der Stärke aussenden und gleichzeitig den Deutschen sein neues Selbstbewusstsein demonstrieren. Das tat er bereits während seines Wahlkampfes um das Referendum zum Umbau der Türkei und um den Ausbau der eigenen Macht. Jetzt nutzt er den deutschen Wahlkampf und die Forderungen Merkels und Schulz', die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auszusetzen, um weiter an der Eskalationsspirale zu drehen.

Türkische Staatsbürger sollen sich "von Wahlkampfveranstaltungen politischer Parteien und von Plätzen fernhalten", wo Kundgebungen oder Demonstrationen stattfinden, die von "Terrororganisationen organisiert oder unterstützt und von den deutschen Behörden geduldet werden", heißt es weiter in der Reisewarnung.

Der Vorwurf: Deutschland gewähre Terroristen Schutz

Erdogans Vorwurf: in Deutschland tummeln sich Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) - was auch von der Bundesregierung nicht bestritten wird. Und: der Vorwurf ist nicht neu. Der Verfassungsschutz nennt die PKK die „schlagkräftigste ausländerextremistische Organisation in Deutschland." Erdogan moniert, Deutschland gehe nicht entschlossen genug gegen die PKK vor und gewähre Terroristen Schutz. Doch dieser Vorwurf ist haltlos. Die Partei ist seit 1993 in Deutschland verboten - schon das öffentliche Zeigen von Porträts des inhaftierten PKK-Chefs Öcalan ist strafbar. Fast 4.500 Ermittlungsverfahren waren im vergangenen Jahr gegen PKK-Mitglieder und Sympathisanten anhängig. Eine Gefahr durch die PKK für Türken in Deutschland? Wohl kaum.

Deutschland kann auf die "Reisewarnung" gelassen reagieren. Es ist eine weitere Provokation gegen ein Land, das die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit hoch hält - aus einem Land, das sich den Vorwurf des Willkür-Staates gefallen lassen muss.

Die nächste Provokation kommt bestimmt

Die Reisewarnung ist also nichts weiter als eine Retourkutsche auf die Verschärfung der deutschen Reise-Hinweise für die Türkei. Dort heißt es, dass "vermehrt deutsche Staatsangehörige willkürlich inhaftiert" wurden.

Dilek Mayatürk Yücel  Ehefrau von Deniz Yücel
Seit Februar 2017 in Haft: Journalist Deniz Yücel, hier mit Ehefrau Dilek. Bild: privat

Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel feierte erst am Wochenende seinen 44. Geburtstag hinter Gittern. Am Montag wurde bekannt, dass in Istanbul ein deutsches Ehepaar verhaftet wurde. Ein rechtsstaatliches Verfahren lässt die Türkei dabei vermissen.

Mit Maßnahmen wie der Reisewarnung kann Erdogan vielleicht im eigenen Land punkten. Bei seinen Partnern im Ausland wird er dadurch kaum davon ablenken können, dass die Menschenrechtssituation in der Türkei immer schlechter wird.

Noch sprechen sich viele EU-Staaten gegen ein Ende der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus. Doch die nächste Provokation kommt bestimmt. Bis dahin wäre die Bundesregierung gut beraten, nicht in Erdogans Falle zu tappen und die Reisewarnung als das zu verstehen, was sie ist: ein innenpolitisches Ablenkungsmanöver.

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