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Kommentar: Religiöse Chauvinisten

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
7. Juli 2015

Der Krieg gegen den "Islamischen Staat" werde noch lange dauern, warnt US-Präsident Obama. Er dürfte Recht haben. Denn die gesamte Region leidet an religiösem Chauvinismus, meint Kersten Knipp.

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IS-Kämpfer mit einer islamistischen Flagge in Syrien (Foto: Balkis Press/ABACAPRESS.COM)
Bild: picture-alliance/Balkis Press

Der Krieg gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) wird lange dauern. So erklärte es US-Präsident Barack Obama Anfang der Woche nach einem Treffen mit ranghohen Militärvertretern.

Sicher, im Einzelnen können sich die Erfolge sehen lassen: Die von den USA angeführte Allianz hat rund 6000 Luftschläge gegen den IS geführt. Tausende Dschihadisten sollen getötet worden sein. Oft konnte der IS auch zurückgedrängt werden. Allerdings nie langfristig. Immer wieder kehrten die Terroristen zurück und provozierten neue Kämpfe.

Das ewige Katz-und-Maus-Spiel lässt kaum Zweifel: Militärisch ist der Kampf gegen den IS jedenfalls dann nicht zu gewinnen, wenn er weiter in seiner bisherigen Form geführt wird. Luftschläge allein bewirken (zu) wenig. Denn gegen Guerillataktiken können Raketen nur bedingt etwas ausrichten. Auf jeden Fall lässt die IS-Strategie - das Vorrücken in kleinen, lose verstreuten Gruppen - den Einsatz von Raketen immer teurer werden. In der Logik des Krieges gesprochen: Wenn jede Rakete nur wenige Kämpfer trifft, muss man entsprechend mehr Raketen einsetzen. Dadurch wird der Krieg teuer, bis hin zu Summen, die nicht mehr finanzierbar sind. Es sei denn, man setzt Bodentruppen ein. Dazu haben die USA nachvollziehbarerweise wenig Lust.

Politische Hindernisse

Noch größer sind aber die politischen Probleme dieses Kriegs. Die USA schicken zwar keine eigenen Kämpfer nach Syrien und in den Irak. Sie bilden aber aus. Diese Ausbildung ist im Irak ein Problem. Denn das Training folgt in Absprache mit der schiitisch geprägten irakischen Regierung. Die aber zeigt sich, wenn es um die Ausbildung sunnitischer Kämpfer geht, gelinde gesagt zögerlich. Sie setzt vor allem auf schiitische Kämpfer, die Angehörigen jener Konfession, aus der sich auch die maßgeblichen Politiker der irakischen Staats- und Regierungsspitze rekrutieren. Damit hat der Krieg gegen den (sunnitischen) IS ein konfessionelles Gewand. Daran hat auch der Iran ganz wesentlich Anteil, denn er engagiert sich im Kampf gegen den IS sowohl im Irak wie auch in Syrien. Einerseits trägt die iranische Expertise dazu bei, dass der IS sich nicht im ganzen Land ausbreiten kann. Zugleich wirkt er aber auch kontraproduktiv, denn seine "Gegenwart" hält viele Sunniten davon, sich dem Kampf gegen den IS anzuschließen.

DW-Autor Kersten Knipp (Foto: DW)
DW-Autor Kersten Knipp

Seinen Beitrag lässt sich der Iran honorieren - und zwar politisch, in Form eines steigenden schiitischen Einflusses. Irak, Syrien, Libanon, Jemen: Überall versucht der Iran seinen Einfluss auszuweiten. Die fortgeschrittenen Atom-Verhandlungen und das aufgehellte Verhältnis zur Obama-Administration beflügeln die hegemonialen Ambitionen vor Ort.

Die irakischen Sunniten kann das nur beunruhigen. Wenn sie, wie sie erfahren mussten, auf der Flucht vor dem IS vor den Toren Bagdads stranden, weil die Regierung ihre steigende Präsenz im Umfeld der Hauptstadt fürchtet, dann nehmen die Sunniten ganz zu Recht an, dass die Regierung sich für sie nicht verantwortlich fühlt. Der Irak ist damit ein sich konfessionalisierender Staat. Für den wollen sich die nicht-extremistischen Sunniten aus nachvollziehbaren Gründen nicht engagieren. Ja, mehr noch: Der Gedanke, ob sie nicht doch in den vom IS beherrschten Gebieten besser aufgehoben wären, muss sich ihnen geradezu aufdrängen.

Giftiger Konfessionalismus

Die ungebrochene Konfessionalisierung des Irak spornt auch die Türkei und die anderen sunnitischen Staaten - insbesondere der Golfregion - nicht unbedingt an, sich im Kampf gegen den IS stärker zu engagieren. Natürlich sähen sie die Dschihadisten am liebsten vernichtet. Sie fürchten aber den wachsenden Einfluss des Iran. Ihm wollen sie sich womöglich noch weniger beugen als einer dschihadistischen Terrorgruppe, deren langfristiges Überleben allen kurzfristigen Erfolgen zum Trotz keineswegs gesichert ist.

Nein, der Krieg gegen den IS wird nicht schnell vorüber sein. Jedenfalls so lange nicht, wie in der Region weiterhin ein konfessionelles Denken vorherrscht. Der Iran auf der einen Seite, Saudi Arabien auf der anderen: Die ideologischen Hardliner und Gotteskämpfer geben auf beiden Seiten den Rhythmus vor. Und solange das so ist, solange ihre Vasallenstaaten ihnen darin folgen, wird dieser Krieg andauern.

Die Region verhext sich selbst - und damit zerstört sie sich selbst. Solange der religiöse Chauvinismus auf schiitischer und sunnitischer Seite andauert, solange sie weder willens noch in der Lage sind, anders als in (pseudo-) religiösen Kategorien zu denken, wird der IS blühen, werden die Menschen der Region ihres Lebens nicht froh.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika