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Protesttruppe in der Ruhe-Republik

5. Juni 2015

Knatsch in der AfD: Will die Neugründung wirtschaftsliberal oder rechte Protestpartei sein? Nicht nur im Vorstand, sondern auch an der Basis tobt ein heftiger Machtkampf. Das ist ganz großes Kino, findet Volker Wagener.

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PEGIDA Demonstration in Dresden 12.01.2015
Bild: Reuters/Fabrizio Bensch

Wie nennt man die Steigerung von Feind? Richtig: Parteifreund! Der alte Politscherz lebt und wird gerade mal wieder auf offener Bühne aufgeführt. Diesmal bei der "Alternative für Deutschland" (AfD), der Neupartei, die nach fulminantem Start, prominenten Rücktritten und hässlichen Gesinnungsfehden unter medialer Dauerbeobachtung steht.

Eines muss man den AfD-Funktonären allerdings lassen: Sie unterhalten uns seit langem schon prächtig. Während die CDU wieder einmal zu einem Kanzlerinnen-Wahlverein verkommen ist, sich die SPD durch Langweile gerade selbst ruiniert und wir uns kaum noch daran erinnern können, wer oder was die FDP mal war, bietet uns die selbst ernannte "Alternative für Deutschland" ein deftiges Schauspiel aus Intrigen, Flügelkämpfen und politischem Dilettantismus. Ganz schön viel Lärm im Land der Weltmeister der Konsenspolitik.

Kein Freund der Medien

Die AfD hatte es von Anfang an nicht leicht: Das Medienecho auf die als eurokritisch gestartete und mittlerweile eher rechtspopulistisch vernehmbare Partei war nie freundlich. Einen Sympathiebonus, wie ihn vor wenigen Jahren noch die teils chaotische Piratenpartei für sich verbuchen konnte, gab es für sie nie. Was vor allem einen Grund hatte: Die AfD stand schon in der Gründungsphase unter anrüchigem, weil rechtem Ideologieverdacht. Aus dem Programm lässt sich wenig Belastendes herauslesen. Abgesehen von der Betonung des Nationalen, was man als Vorstufe zum Nationalismus sehen kann, aber nicht muss.

Es war denn auch mehr die Diskrepanz zwischen teils nüchterner Euro-Kritik der Spitzenfunktionäre und den hochemotionalen Wortmeldungen aus den Reihen der Basis, die spätestens mit den Pegida-Festspielen in Dresden und anderswo die Partei in den Ruch des Unappetitlichen brachte. Eine ordentliche Portion Ausländerfeindlichkeit war nicht mehr zu überhören. Die Erfinder der AfD hatten sicher anderes im Blick, als sich die Wut-Reden sozial Frustrierter anzuhören, die ihre persönliche Misere auf die billige Tour Kriegsflüchtlingen und Asylbewerbern in die Schuhe schieben wollen. Genau diese Dauerfrustrierten aber sind längst in Scharen in die Partei eingetreten. Was das Chaos perfekt macht. Im Moment herrscht ideologischer Kontrollverlust.

Wagener Volker Kommentarbild App
DW-Redakteur Volker Wagener

Die AfD als Sturm in Merkels Ruhe-Republik

Und nicht nur inhaltlich torkelt die AfD vor sich hin. Auch im Umgang miteinander kochen die Emotionen über. Über Facebook bekriegen sich die verfeindeten Lager so erbittert, dass die etablierten Parteien bei soviel Basisbeteiligung vor Neid erblassen. Die Fehde geht so weit, dass sogar der unmittelbar bevorstehende Parteitag abgeblasen wurde. Juristen haben inzwischen das Wort und versuchen zu klären, wer als Delegierter hätte kommen dürfen und wer nicht.

Das Tollhaus AfD liegt - und das ist bemerkenswert - völlig im Gegentrend zur politischen Gemütslage der Deutschen. Die Merkel-Republik ist geradezu verliebt in die Diskurslosigkeit der Kanzlerin und ihrer großen Koalition. Konsens-Deutschland ist mit sich zufrieden und eine echte Opposition im Bundestag vermisst offensichtlich auch niemand. Was mit Blick auf die AfD so widersprüchlich klingt, liefert letztlich die tiefere Begründung für das Hauen und Stechen bei der Neupartei. Den wirtschaftsliberalen Flügel treibt die demografische Bombe, das EU-Schuldenmanagement und die Euro-Politik um, bei den Nationalen werden die Themen Flüchtlings- und Asylpolitik, Islam und Einwanderung in den Fokus gestellt. Themen der Pegida-Wutbürger. Beide Flügel sind auf Protest ausgerichtet. In Zeiten, in denen nur noch jeder Zweite wählen geht, ein alarmierender Befund.

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Volker Wagener Redakteur und Autor der DW Programs for Europe