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Problem doppelte Staatsbürgerschaft

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
7. August 2016

Der Doppelpass setzt viel voraus. Vor allem die Loyalität der Neubürger zur politischen Ordnung ihrer Wahlheimat. Die aber ist kaum mehr selbstverständlich. Das Konzept gehört darum abgeschafft, meint Kersten Knipp.

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Pro-Erdogan-Demonstration in Köln (Foto: Reuters/T. Schmuelgen)
Bild: Reuters/T. Schmuelgen

Die Bilder irritieren weiterhin: Zehntausende Menschen, darunter - vermutlich - sehr viele deutsche Staatsbürger, schwenken die Fahnen eines anderen Landes, der Türkei. Ein paar deutsche Flaggen lockern das monotone türkische Fahnenmeer auf, aber es sind verschwindend wenige.

Die Frage drängt sich auf: Welchem Land, welcher Regierung gehört die Loyalität jener türkischstämmigen Demonstranten, die am vergangenen Wochenende in Köln für Staatschef Recep Tayyip Erdogan auf die Straße gingen? Weiter muss man fragen, welche politischen Ideale Menschen haben, die einem Staatsoberhaupt zujubeln, der einen Putsch zum Anlass nimmt, Pluralismus, Toleranz, Meinungsfreiheit und Demokratie durch Massenverhaftungen, Konfiszierung von Privateigentum und Reiseverboten aus den Angeln zu heben.

Wer ist "wir"?

Ganz offensichtlich heißen jene, die Erdogan ihre Unterstützung bekundeten, eine solche Politik gut. Das muss jeden beunruhigen, der in Deutschland für die genannten Werte eintritt. Weiter stellt sich die Frage, welches Risiko Rechtstaatlichkeit und Demokratie nehmen, wenn es vielen von denen, die es mit diesen Werten nicht allzu genau nehmen, möglich ist, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben - sei es durch Antrag, sei es durch Geburt. Der Eindruck, jene, die Erdogan zujubelten, könnten zur fünften Kolonne Ankaras werden oder es womöglich längst sein, lässt sich schwerlich beiseite schieben.

Dies umso mehr, als auch noch Erdogans Rede in der Köln-Arena 2008 in Erinnerung ist. "Warum", fragte er damals, "sollten wir keine Vertreter und Gruppen in den politischen Parteien haben? Warum sollten wir im deutschen Parlament, im EU-Parlament, nicht noch mehr Vertreter haben?" Es stellt sich zwingend die Frage: Wer ist wir? Sieht sich Erdogan als Deutschtürke? Wohl kaum. Als was sieht er sich dann? Als Türke, als türkischer Politiker? Man darf es annehmen. Das hieße dann aber: Er betreibt Außenpolitik in Deutschland, und zwar mit Hilfe der Deutschtürken. Das kann nicht sein.

Knipp Kersten Kommentarbild App (Foto: DW)
DW-Autor Kersten Knipp

Zwangsläufige Loyalitätskonflikte

Gegen die doppelte Staatsangehörigkeit sprechen darüber hinaus ganz grundsätzliche Überlegungen. Staaten definieren sich nicht zuletzt durch ihre Interessen. Für diese Interessen setzen sich auf unterschiedlichste Art deren jeweiligen Bürger ein. Diese mögen ihrerseits zwar divergierende politische Vorstellungen haben. Man darf aber unterstellen, dass sie allesamt für das übergeordnete Interesse ihres gemeinsamen Staates eintreten.

Eben diese Annahme wird durch die die doppelte Staatsbürgerschaft in Frage gestellt. Denn wie verhalten sich Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, wenn die beiden Staaten, deren Bürger sie sind, unterschiedliche Interessen haben? Zwangsläufig müssen sie sich für das Interesse des einen und gegen das des anderen Staates entscheiden. Wie immer ihre Wahl ausfällt und egal, wo sie leben: Stets erscheinen sie als Angehörige eines fremden Staates, dessen Interessen sie zum Beispiel über das Wahlrecht effektiv vertreten.

Ein fundamentales Risiko

Das ist solange nicht problematisch, wie Staaten überwiegend gemeinsame Interessen und eine gemeinsame Weltsicht teilen. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, wird die doppelte Staatsbürgerschaft zum politischen Risiko. Staaten, die diese gewähren, setzen einen Teil ihrer Souveränität aufs Spiel. Im Zweifel sehen sie sich Staatsangehörigen gegenüber, die diese Interessen nicht nur nicht teilen, sondern ihnen sogar entgegentreten.

"Der freiheitliche, säkularisierte Staat", schrieb vor Jahren der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde, "lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." Das heißt: Er ist auf Bürger angewiesen, die für diese Freiheiten auch eintreten. Eben dies ist in einer Welt, in der immer mehr Menschen aus Regionen mit ganz unterschiedlichen politischen und kulturellen Voraussetzungen kommen, immer weniger selbstverständlich. Die doppelte Staatsangehörigkeit wird damit zu einem fundamentalen Risiko. Darum gehört sie abgeschafft.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika