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Kommentar: Politik der kleinen Schritte verspricht Großes

Jens Thurau30. November 2005

Angela Merkels erste Regierungserklärung fiel sachlich und nüchtern aus. Sie will kleine Schritte richtig gehen, sagte sie. Dennoch hat sie sich Gewaltiges vorgenommen, so Jens Thurau in seinem Kommentar.

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Bild: AP


"Wer hätte das gedacht", so Angela Merkel, "dass wir jetzt hier stehen". Große Koalition, SPD und Union nach langen Kämpfen vereint, Deutschland hat seine erste Regierungschefin. Ganz zu Beginn ihrer ersten Regierungserklärung war der Naturwissenschaftlerin Dr. Angela Merkel, aufgewachsen in der DDR, spät politisiert, lange angefeindet wegen ihrer drögen Art, war dieser 51 Jahre alten Frau anzumerken, wie erstaunt sie ist, tatsächlich jetzt hier zu stehen. Ganz oben, an der Macht. Schon möglich, dass man nach einer so schwindelerregenden Karriere den Überblick verliert. Bei Merkel ist das aber nicht zu erwarten.

Versöhnliche Sprache

Nüchtern und sachlich, ohne große Gesten und hochkonzentriert arbeitete sich die neue Kanzlerin durch das Programm eines Bündnisses, das so keiner wollte, vor allem sie selbst nicht. Aber jetzt will sie es. Also waren am Mittwoch (30.11.) im Bundestag von ihr keine neoliberalen Töne mehr zu hören wie im Wahlkampf. Stattdessen fielen Vokabeln wie Gemeinsamkeit, Bürgersinn, Verlässlichkeit. Von der Reform der sozialen Systeme, um sie zu erhalten, war die Rede, nicht mehr um sie radikal umzukrempeln, wie noch vor Wochen.

Alleinerziehende Mütter sind für die Frau aus Templin die Helden der Gegenwart; sichtlich mühte sich die Kanzlerin, ihr Image der Gefühlskälte zu korrigieren. Und manch Wertkonservativer in den eigenen Reihen weiß spätestens seit dieser Rede, dass auch in der Union nichts mehr so sein wird, wie es war, wenn es nach Merkel geht. Familie ist da, wo Kinder Eltern unterstützen und umgekehrt, der Staat urteilt nicht über Lebensentwürfe - fertig.

Alle müssen sich umstellen

Pragmatismus in der Wirtschaft, in der Außenpolitik, bei der Bildungspolitik. Taugt der Abbau des Kündigungsschutzes, um Jobs zu schaffen? Mal sehen, so Angela Merkel, wer es nicht probiert, kann es nicht wissen. Lange habe sie überlegt, wie sie die gesellschaftlichen Gruppen - wie Gewerkschaften und Unternehmerverbände - würdigen sollte in ihrer Rede, berichtete Merkel. Aber dann verzichtete sie ganz darauf, weil Gruppen eben nicht mehr so wichtig sein sollen in der neuen Zeit. Alle müssen sich umstellen.

Und das alles soll ohne Pathos geschehen, vor allem ohne große Versprechungen. Wenn ihr Politikentwurf der rote Faden fehle, dann stimme das, so die Kanzlerin. Endlich mal die kleine Schritte richtig gehen, das soll ihr Motto sein. In der Tat: Wenn das gelingt, dann wäre das mal was. Angela Merkel hat sich eben doch Gewaltiges vorgenommen, auch wenn sie nicht so wirkt.