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Opfer der eigenen Naivität

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
11. Juni 2015

Der Deutsche Bundestag wurde Opfer eines gezielten und massiven Hacker-Angriffs. Jetzt müssen nicht nur zahllose Rechner ausgetauscht werden. Das Parlament muss ganz grundsätzlich umdenken, meint Jens Thurau.

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Deutschland Bundestag Bundestagsdebatte Ruanda Plenarsaal
Bild: picture-alliance/dpa

Wir alle sind zu sorglos im Umgang mit unseren Daten im Internet. Das sagen alle Statistiken. Wir tummeln uns in den sozialen Netzwerken und geben dort viel von uns preis. Wir kaufen ein im Netz, tätigen Bankgeschäfte, sind lax mit Sicherungssoftware und Passwörtern. Warum sollen Politiker da anders sein?

Sollten sie vielleicht doch. Weil es schon eine andere Größenordnung ist, über die da jetzt geredet werden muss, wenn der Deutsche Bundestag Ziel eines heftigen Hacker-Angriffs geworden ist. Von wem? Kann man nur spekulieren. Die meisten Politiker, die man fragt, vermuten mindestens eine große kriminelle Vereinigung hinter der Aktion, wahrscheinlich aus Osteuropa. Vielleicht stecken sogar Staaten dahinter.

Zugriff auf geheimste Informationen

Wahrscheinlich müssen jetzt Soft-und Hardware ausgetauscht werden, vermutlich sogar komplett, das muss sich noch herausstellen. Denn der Angriff geht tief hinein in die Strukturen des Netzwerkes des deutschen Parlaments, betrifft auch Administratorenrechte. Und: Er dauert offenbar noch an.

Das ist kein Spaß: Der Verteidigungsausschuss des Parlaments etwa befasst sich mit Rüstungsexporten, der Auswärtige Ausschuss mit der deutschen Strategie, den deutschen Interessen gegenüber anderen Staaten - befreundeten wie solchen, die es nicht sind. Hochsensible Informationen werden da ausgetauscht. Und doch drängt sich der Eindruck auf: Das Bewusstsein, dass man das Netz, mit dem alle diese Informationen ausgetauscht werden, auch nach dem neuesten Stand der Technik schützen muss, ist nicht vorhanden. Seit vier Wochen wissen die Abgeordneten nicht, wie schwer der Angriff ist, was sie jetzt genau tun sollen. Der Bundestagspräsident hüllt sich in Schweigen, das zuständige Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auch, ebenso der Verfassungsschutz. Vielleicht, weil sie auch nicht mehr wissen. Spätestens das wäre dann wirklich stark beunruhigend.

DW-Mitarbeiter Jens Thurau
Jens Thurau, Korrespondent im DW-HauptstadtstudioBild: DW/D. Engels

Und das alles fällt in eine Zeit, in der klar wird, dass die amerikanische NSA Menschen in Deutschland wohl massenhaft und flächendeckend ausspioniert hat, dass dieser US-Geheimdienst sogar vortrefflich mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst kooperiert. Da gilt das Gleiche: Die Reaktion der Menschen im Land, auch vieler Politiker, bewegt sich irgendwo zwischen Fatalismus ("So sind die Amerikaner, und wir werden sie nie daran hindern können") und Arglosigkeit ("Wer nichts zu verbergen hat, muss sich auch nicht sorgen"). Manchmal ist auch Schadenfreude dabei, wenn etwa das Handy der Kanzlerin abgehört wird.

Sorglose und unbedarfte Kanzlerin

Apropos Merkel: Irgendwie passt die Meldung vom Hacker-Angriff auf den Bundestag zu ihrem Gebaren. Merkel ist neuerdings bei Instagram und lässt fröhliche Bilder posten, wurde aber sofort von russischen Trollen überschüttet. Hasstiraden waren das zumeist und bitterböse Kommentare zur Ukraine-Politik Deutschlands. Auch darauf war im Bundeskanzleramt niemand vorbereitet, schließlich wurden alle Einträge in kyrillischer Schrift erst einmal hektisch gelöscht.

Sorglosigkeit also, vielleicht auch Naivität bei Regierung und Parlament. Im Bundestag sind aber nun so viele Abgeordnete - um es vorsichtig auszudrücken - verärgert, dass jetzt wohl kurzfristig möglich wird, was längst hätte kommen müssen: Mehr digitales Personal, mehr Geld für Sicherungssoftware, mehr Sorgfalt. Hackerangriffe wird man wohl nie ganz verhindern können, auch schwere nicht. Aber ernst nehmen sollte man sie schon.