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Kommentar: Oberste Richter nicht unterschätzen

Michael Knigge31. Januar 2006

Der US-Senat hat den Bush-Kandidaten Samuel Alito zum Richter am Supreme Court ernannt. Könnte das die Ausrichtung des Gerichtshofs langfristig nach rechts verschieben? Es kommentiert Michael Knigge.

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Kann Bush künftig seinen Einfluss auf Richter Samuel Alito geltend machen?Bild: AP

Für die Republikaner scheint ein Jahrzehnte alter Traum in Erfüllung gegangen zu sein: der Traum von einer dauerhaften konservativen Mehrheit im Obersten Gerichtshof der USA. Am Dienstag (31.1.2006) stimmte die Mehrheit der Senatoren für Präsident Bushs Kandidaten für das Richteramt, Samuel Alito. Damit stellen die Republikaner künftig fünf der neun Richter. Freie Bahn also für die Durchsetzung lang gehegter konservativer Wünsche? Wird das Recht auf Abtreibung gekippt, die Homo-Ehe verboten, und die Trennung von Staat und Kirche aufgehoben? Kurz: Steuern wir auf eine andere amerikanische Republik zu?

"Ich bin und war schon immer ein Konservativer"

US Senat Anhörung von Samuel Alito
Schon bei der 18-stündigen Befragung im Senat bewies Samuel Alito NervenBild: AP

Die Demokraten fürchten es, viele Republikaner hoffen es, aber niemand weiß es. Zwar ist Samuel Alito tatsächlich als konservativer einzuschätzen als die einst von Präsident Ronald Reagan nominierte Sandra Day O' Connor, deren Platz er einnehmen wird. "Ich bin und war schon immer ein Konservativer", schrieb Alito bereits 1985 in einem Bewerbungsaufsatz für einen politischen Posten über sich selbst. Und auch der neue Oberste Richter, John Roberts, war ein Wunschkandidat vieler Republikaner und hatte sich seine ersten Meriten als Mitarbeiter von William Rehnquist verdient, dessen Nachfolge er vor kurzem antrat.

Unabhängigkeit der Richter nicht unterschätzen

Dennoch ist es zu formalistisch zu glauben, die Republikaner könnten ihre politische Agenda künftig nach Gutdünken vom Obersten Gericht durchsetzen lassen. Diese Annnahme unterschätzt die Unabhängigkeit der Richter und die Entscheidungsprozesse des Gremiums. Die Richter werden von Präsidenten in der Hoffnung ernannt, dass sie deren politische Grundüberzeugung teilen und in ihre Arbeit einfließen lassen.

Einen Lackmustest für ihr künftiges Verhalten nach einer Ernennung gibt es jedoch nicht. Natürlich wurden die beiden neuen Richter, Roberts und Alito, vor ihrer Nominierung vom Weißen Haus so gut wie möglich auf ihre republikanische Gesinnung abgeklopft. Aber einmal im Amt auf Lebenszeit, entscheiden sie unabhängig und sind nicht einfach der verlängerte Arm einer Partei. Dies zeigt die lange Geschichte des Obersten Gerichts.

Wenn Konservative links abstimmen

David Souter
Wegen seiner konservativen Gesinnung gewählt, überrascht David Souter mit linkem AbstimmungsverhaltenBild: AP

Das aktuellste Beispiel dafür ist David Souter.1990 von Präsident Bush senior nominiert, hat er sich im Laufe seiner Amtszeit aus Sicht der Republikaner von einem gemäßigten Konservativen zu einem Radikalliberalen entwickelt. Zum großen Verdruss der Partei, die ihn einst entsandte, stimmt Souter regelmäßig mit den liberalen Richtern John Paul Stevens und Ruth Bader Ginsburg statt mit seinen konservativen Kollegen Antonin Scalia und Clarence Thomas.

Der Traum von der konservativen Mehrheit im Supreme Court

Neben der Unabhängigkeit der Richter erschweren auch die Entscheidungsfindungsprozesse des Gerichts die Prognose, wie das Gremium über einen Fall abstimmt. Denn wie die demokratische und republikanische Partei bilden auch die liberalen und konservativen Richter keinen stabilen Block, der stets einheitlich abstimmt. Stattdessen formen die Richter von Fall zu Fall Koalitionen mit dem Ziel, eine Mehrheit zu bekommen. So hat selbst der als erzkonservativ geltende Scalia schon mit seinen liberalen Kollegen gestimmt.

Mit der Bestellung von zwei neuen Richtern sind die Republikaner der Umsetzung ihres Traums von einer verlässlichen konservativen Mehrheit im Obersten Gericht näher gekommen. Ob er Wirklichkeit wird, hängt nicht nur von Roberts und Alito, sondern auch von den sieben anderen Richtern ab. Sie nur als parteihörige Roboter zu betrachten, hieße, sie zu unterschätzen.