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Kommentar: Obama, der Europäer?

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Gero Schließ
25. Juli 2015

Großbritannien muss in der EU bleiben. Nur so kann es weiterhin eine Rolle auf internationaler Bühne spielen, sagt Präsident Obama. Er hat dabei aber vor allem die US-Interessen im Blick, meint Gero Schließ.

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PK Obama Cameron 16.05.2015
Bild: Reuters/L. Downing

Da mag sich mancher verwundert die Augen reiben: Lange Zeit machten die Amerikaner einen weiten Bogen um Brüssel - und hatten für die Europäische Union nur ein müdes Lächeln übrig. Doch plötzlich sorgt sich ein US-Präsident um den Zusammenhalt der EU. Er legt den Briten eindringlich ans Herz, dem Club der 28 Länder nur ja nicht den Rücken zu kehren. Ob Obama sich und der Sache mit seinem ungewöhnlichen öffentlichen Appell einen Gefallen getan hat, das wird sich zeigen. Schon haben sich die britischen Europagegner seine Einmischung verbeten.

Dass er sich ein Europa ohne die Briten nicht vorstellen kann, das hat der US-Präsident schon häufiger gesagt. Doch noch nie hat er sich in der Öffentlichkeit so deutlich geäußert wie jetzt. Ist Obama plötzlich zum überzeugten Europäer geworden? Hat er angesichts der krisenhaften Zuspitzungen in der Welt den Wert eines starken und geeinten Europas schätzen gelernt? Das ist wohl nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist: Es geht ihm vor allem um us-amerikanische Interessen.

Obamas Angst: Die Briten sind zu schwach

Im Zweiten Weltkrieg waren Briten und Amerikaner enge Waffenbrüder. Auch in den Jahrzehnten danach konnten sich die USA darauf verlassen, dass die Briten trotz nachlassender Kräfte im Zweifel mitziehen würden in die Schlachten.

Doch jetzt geht in Washington die Furcht um, dass die Briten raus sind aus dem internationalen Kräftespiel: militärisch mittlerweile zu schwach, innenpolitisch gelähmt und in Europa kaum noch im Zentrum des politischen Kräftefeldes rund um Deutschland und Frankreich.

Gero Schließ, DW-Korrespondent in Washington (Foto: DW)
Obama sorgt sich um Großbritannien - so sieht es Gero Schließ, DW-Korrespondent in WashingtonBild: DW/P. Henriksen

In der Tendenz stimmt diese Analyse. Der Sparkurs der vergangenen Jahre hat die Interventionsfähigkeit der britischen Armee deutlich eingeschränkt. Die gedrosselten Kampfeinsätze gegen den selbsternannten "Islamischen Staat" im Irak sind ein letzter Beleg dafür. In der Auseinandersetzung mit Russland im Zuge der Ukrainekrise sucht man die Briten vergebens, dafür ist Deutschland umso stärker im Brennpunkt des Geschehens. Ähnliches gilt für das Krisenmanagement um Griechenland.

Hatte Großbritannien unter Premierministern wie Margaret Thatcher oder Tony Blair in Europa und der Welt oberhalb seiner Gewichtsklasse mitgeboxt, so agiert es mit David Cameron als Premierminister unterhalb seiner Möglichkeiten. Camerons Kräfte werden weitgehend innenpolitisch absorbiert. Da geht es immer noch darum, die Folgen der Finanzkrise zu managen.

2016 oder 2017 steht zudem das EU-Referendum an, dann drohen sich die nationalistischen Kräfte unkontrolliert Bahn zu brechen. Das erfordert den ganzen Einsatz der Regierung - und läßt wenig Kräfte für Großbritanniens bisherige Rolle als eine Nation, auf die es in der Welt ankommt. Als das Parlament den Einsatz der britischen Luftwaffe in Syrien gegen Stellungen des Islamischen Staates ablehnte, war das für viele in Washington der endgültige Abschied von dieser Rolle.

Dagegen stemmt sich Obama jetzt noch einmal mit seiner öffentlichen Parteinahme für Großbritanniens Verbleib in der EU. Denn mit einem Ausscheiden würde Großbritannien als Verbündeter der USA weiter rapide an Wert verlieren. Gerade auch mit Blick auf Europa.

Obamas Brückenkopf nach Europa

Großbritannien ist für die USA ein wichtiger Brückenkopf dorthin. Ein Land, mit dem man viele Interessen teilt. Es sind die Briten, die das Bewußtsein für eine engagierte, interventionistische Aussen- und Sicherheitspolitik geschärft haben und immer wieder wach halten. Und es sind die Briten, die im Gleichklang mit den USA für eine Liberalisierung der europäischen Märkte und für einen freien Welthandel plädieren. In diesem Sinne ist der Inselstaat wahrlich der "beste Partner" für die USA, so hatte es Obama ja gesagt. Kein Wunder, dass er ungern auf diesen Partner verzichten würde.

Auch die Militäreinsätze in den Krisenländern dieser Welt würde der US-Präsident lieber weiterhin gemeinsam mit den Briten fliegen. Denn die Deutschen gelten in Militärdingen immer noch als zu kompliziert. Und den neuerdings höchst kooperativen Franzosen traut man in Washington noch nicht dauerhaft über den Weg. Deswegen hat man es in Washington gern gehört, dass die Briten den heruntergefahrenen Wehretat schrittweise wieder anheben und auch über Kampfeinsätze in Syrien neu nachdenken wollen.

Doch selbst, wenn es Premierminister Cameron gelingen sollte, seine Landsleute vom Verbleib in der EU zu überzeugen: Das wird den Bedeutungsverlust Großbritanniens verlangsamen, aber die tektonischen Machtverschiebungen in Europa nicht umkehren. Bei denen läuft derzeit alles auf ein anderes Land zu - auf Deutschland.

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