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Kommentar: Mutig und weitsichtig

Heinrich Bergstresser20. April 2004

Die USA haben den Rückzug des spanischen Truppenkontingents aus dem Irak bereits deutlich kritisiert. Dennoch darf ihn nicht als feiges Nachgeben gegenüber Extremisten deuten - meint Heinrich Bergstresser.

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Wer ein tiefes Loch gegraben hat und sich aus eigener Kraft nicht mehr aus diesem Loch befreien kann, muss sofort aufhören, zu graben. Diese Alltagsweisheit müssten die beiden Hauptakteure des Irak-Konfliktes - die USA und Großbritannien - beherzigen, um sich mittelfristig aus der Falle Irak zu befreien. Die neue spanische Regierung hat sich diese Erkenntnis zu eigen gemacht. Sie verlässt das Loch sogar noch rechtzeitig aus eigener Kraft und zieht damit zugleich einen - zumindest vorläufigen - Schlussstrich unter das Irak-Abenteuer der abgewählten Regierung José Maria Aznar.

Völlig verfahrene Situation

Die schnelle Entscheidung Zapateros, nach kritischer Analyse der derzeit völlig verfahrenen Situation im Irak wie auch im UN-Sicherheitsrat, ist mutig und weitsichtig. Denn sie unterstreicht seine Glaubwürdigkeit im Innern und lässt ihm alle Optionen für künftige Lösungsansätze im Irak, die wohl nur in einem wahrhaft internationalen Rahmen liegen dürfte. Aber etwas anderes ist genauso wichtig: Zapatero hat die extrem verschobenen Koordinaten seines Vorgängers wieder gerade gerückt. Denn Spanien ist nun einmal fester Bestandteil Europas: politisch, wirtschaftlich, kulturell, geographisch - und letztlich auch im Denken.

Militärstrategisch ist der Truppenrückzug im Grunde ziemlich bedeutungslos. Symbolisch aber ist er für die Besatzungskoalition unter der Führung der USA und Großbritanniens verheerend. Denn Spanien wird nicht das einzige Land in dieser Koalition sein, das noch rechtzeitig und aus eigener Kraft das tiefe Loch Irak verlassen wird. Honduras ist das nächste, weitere werden folgen.

Schadenfreude ist nicht angebracht

Schadenfreude über das Auseinanderdriften der Kriegskoalitionäre ist allerdings überhaupt nicht angebracht. Die internationale Gemeinschaft kann sich drehen und wenden wie sie will, sie kommt nicht darum herum, den angerichteten politischen und materiellen Schaden beiseite zu räumen und damit zugleich die beiden Hauptakteure des Irak-Krieges aus dem tiefen Loch zu befreien. Die Hauptlast wird Europa tragen müssen - und damit auch Spanien.

Der Rückzug aus der jetzigen Irak-Koalition ist das eine. Aber auf der anderen Seite können sich Deutsche, Franzosen und natürlich auch die Spanier auf Dauer mit dem Hinweis auf den völkerrechtlich illegalen Angriff auf den Irak nicht vor der Verantwortung im Zweistromland und im Nahen Osten insgesamt drücken. Sie könnten die Koordinaten des Völkerrechts, die der Irak-Komplex extrem verbogen hat, etwas gerader rücken - aber natürlich nicht zum Nulltarif.

Alleingänge richten Schaden an

Der Preis, den die USA zu zahlen haben und auch zahlen werden, lässt sich nicht in Dollar ausdrücken, sondern darin, zukünftig internationale Zusammenarbeit und Verpflichtungen zu akzeptieren. Das heißt letztlich nichts anderes, als erhebliche politische Zugeständnisse im Umgang mit den anderen wichtigen Staaten und Regionen dieser Welt zu machen und auf Alleingänge zu verzichten, die die Welt keineswegs sicherer gemacht haben - wie in Washington und London suggeriert wird. Vielmehr haben diese Alleingänge bislang erheblich mehr Schaden und Chaos angerichtet als Nutzen.