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Gesellschaft

Legt doch mal die Handys weg!

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
24. Dezember 2017

Das Versprechen der sozialen Medien, unser Leben besser und bunter zu machen, erfüllt sich immer weniger. Wir sollten deswegen zumindest über die Weihnachtstage mehr erleben und weniger posten, meint Martin Muno.

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Symbolbild Paar an Weihnachten
Bild: picture-alliance/dpa/C. Klose

Neulich in einem buddhistischen Tempel in Bangkok: Die große goldene Buddha-Figur, die filigranen Verzierungen, die Gebete der Gläubigen, die ganze Atmosphäre - das alles wäre ergreifend, wenn nicht dieses Gewusel wäre. Im Sekundentakt kommen kleine Grüppchen, stellen sich mit dem Rücken zur Statue, richten den Selfie-Stick aus, machen ein Selfie mit Buddha und verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind. Das Foto landet mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit später bei Facebook, Instagram oder zumindest im privaten WhatsApp-Zirkel unter dem Motto "schaut mal, wo ich war!"

Am selben Abend in einem Restaurant: Vier junge Frauen sitzen zusammen, aber ein Gespräch findet nicht statt. Alle schauen gebannt auf den Bildschirm ihrer Handys und stochern gemeinsam einsam in ihrem Essen herum. (Es war übrigens sehr lecker dort…)

Das medial gespiegelte Erleben

Zwei Beispiele für unser Lebensgefühl im Jahr 2017. Wir erleben unsere Umwelt und Mitmenschen nicht mehr über unsere Sinne oder über direkte Kommunikation, sondern vermittelt über soziale Netzwerke, auf die wir über unsere Mobiltelefone jederzeit Zugriff haben. Und wir erleben die Momente nicht mehr, um sie zu spüren und womöglich an Ort und Stelle zu genießen, sondern finden es wichtiger, Erinnerungskonserven zu produzieren, um sie später abzurufen. 

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DW-Redakteur Martin Muno

Der Schweizer Unternehmer und Schriftsteller Rolf Dobelli beschreibt das so: "Wir tendieren dazu, das erinnernde Ich höher zu bewerten - und leben im Hinblick auf die Sammlung künftiger Erinnerungen statt auf unsere Gegenwart." Und er mahnt: "Steuern Sie gegen. Entscheiden Sie, was Ihnen wichtiger ist: ein erfülltes Leben oder ein volles Fotoalbum?"

Zugegeben, das klingt ein wenig romantisch. Aber: Wenn Pioniere der sozialen Netzwerke ihre Analyse vorlegen, klingt das mitunter viel brutaler. Evan Spiegel, der 27-jährige Gründer von Snapchat, den seine Erfindung zum Multimilliardär gemacht hat, schrieb über die Entwicklung der sozialen Medien: "Die Kombination von sozial und Medien hat unglaubliche Geschäftsergebnisse hervorgebracht, aber letztendlich unsere Beziehungen zu unseren Freunden und unsere Beziehungen zu den Medien untergraben." Ähnlich äußerte sich der ehemalige Präsident von Facebook, Sean Parker.

Posten und liken macht unglücklich

Dass die Nutzer von Facebook durch posten und liken nicht glücklicher werden, zeigt eine Langzeitstudie von Forschern der University of California und der Yale University. Sobald die Interaktion auf Facebook um nur ein Prozent stieg, sank das geistige Wohlbefinden um fünf bis acht Prozent. Die schiere Menge an Inhalten lenke von den wichtigen Erfahrungen im "wahren Leben" ab, befanden die Forscher.

Damit steht die Studie im Einklang mit früheren Forschungsergebnissen, die zu dem Schluss kamen, dass Facebook den Neid anfeuert. Weil die meisten Menschen ausschließlich positive Dinge posten, fühle man sich im eigenen Leben unzureichend. Die anderen scheinen es anscheinend immer besser zu haben, lautet die trügerische Botschaft.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Es ist nicht alles schlecht auf den sozialen Plattformen. Sie sind ein wunderbares Mittel, um sich auszutauschen - gerade wenn die Freunde oder die Verwandten viele Kilometer entfernt leben. Auch ich nutze Facebook, Twitter und Instagram gerne - und manchmal zu häufig. Wir sollten dabei nur nicht vergessen unser Leben in der analogen Sphäre zu leben - einer wunderbaren Welt, in der wir nicht nur posten und liken, lesen und zuschauen, sondern auch noch reden, riechen, schmecken und spüren können.

Um das zu erfahren, sollten wir uns aber digitale Auszeiten gönnen - und die mobilen Endgeräte mal in die Schublade legen. Gerade an den Festtagen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen frohe und geruhsame Weihnachten!

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus